: Ellen Alpsten
: Die Schwestern der roten Sonne Roman
: Heyne
: 9783641037437
: 1
: CHF 6.40
:
: Erzählende Literatur
: German
: 448
: DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Drei Freundinnen, drei Leben, eine Heimat
Kupenda heißt 'zu lieben'. Kupenda ist der Name der Farm im ostafrikanischen Grabenbruch, auf der drei junge, sehr unterschiedliche Frauen zusammen aufgewachsen sind: Emelie ist weiß und die Tochter der Farmer Paddy und Diane, Iman ist eine Massai und Aischa ist indischer Herkunft. In ihrer Verschiedenheit spiegeln sie das Land wieder, in dem sie leben, gemeinsam ist ihnen ihre Liebe zu Kupenda, die ihnen Heimat und Sehnsuchtsort zugleich ist. Ihre Freundschaft wird auf eine harte Probe gestellt, als die Farm in Gefahr gerät. Doch ihre Treue, die Liebe zu dem weiten Land und ihre Lebensträume überwinden alle Widerstände.

So weit und bewegend wie die Landschaft des geheimnisvollen Kontinents.

Ellen Alpsten wurde 1971 in Kenia geboren, verbrachte ihre Kindheit und Jugend dort und studierte dann in Köln und Paris. Sie arbeitete in der Entwicklungshilfe an der Deutschen Botschaft Nairobi und als Moderatorin bei Bloomberg TV. Heute ist sie freie Schriftstellerin und Journalistin, u.a für dieFAZ undSpiegel Online. Nach den historischen RomanenDie Lilien von Frankreich,Die Zarin undDie Quellen der Sehnsucht (alle Wilhelm Heyne Verlag) folgten mitDie Schwestern der Roten Sonne undDie Löwin von Kilima zwei zeitgenössische Afrikaromane. Ellen Alpsten lebt mit ihrer Familie in London.

Der Himmel glühte, als Kenize die Anhöhe erreichte. Ein Baum stand dort, gleichgültig dem Heute und dem Gestern gegenüber. Sie lehnte sich gegen seinen Stamm, um Atem zu schöpfen. Kenize war ihr Leben lang zu verwöhnt gewesen, als dass die Anstrengung der vergangenen Wochen sie gestählt hätte.
Sie sah hinunter auf die Ebene. Zwischen dem von der Dezembersonne verbrannten Gras weideten Herden von Zebras und Gnus. Die Seen glänzten im letzten Licht. Ihre Wasser waren rosig von den unzähligen Flamingos, die an ihren Ufern nisteten. Erloschene Vulkane ragten aus dem Land und sahen aus wie Schornsteine auf einem flachen Dach. Neben der Sonne war bereits die schmale Sichel des Mondes am Himmel zu erkennen. Der Hüter der Sonne, Enkai, traf auf Olapa, die Göttin des Mondes. So glaubten es die Leute hier.
»Gleich bin ich bei dir, Qasim«, sagte Kenize. Qasim hatte sie seine Sonne und seinen Mond genannt.
Sie setzte die Tasche ab, die sie in den vergangenen Wochen nicht aus den Augen gelassen hatte. In der Nacht hatte sie sie unter ihren Kopf geschoben, und am Tag hatte sie sie stets auf den Knien gehalten. Nun war Kenize am Ziel ihrer Reise angelangt. Die Küste, wo ihr Vater lebte, gehörte bereits einer anderen Welt an. Die Landschaft hier war ursprünglich und unberührt, doch der Händler, der sie auf seinem Ochsenkarren mitgenommen hatte, hatte ihr prophezeit: »Die Eisenbahn soll bald auch hier hoch gebaut werden. Dann ist es aus mit dem Frieden. Irgendein Weißer wird sich das Land schon kaufen.«
Irgendein Weißer? Das konnte sie nicht glauben. Die weißen Siedler waren zerlumpte Gestalten, die mit sonnengegerbten Gesichtern durchs Land zogen. Ihre Frauen hatten Schwielen an den Händen und rochen nach saurer Milch.
Auf der Ebene sah sie einen Mann still und aufrecht bei seiner Herde stehen. War dies ein Massai? Ihr Vater war ein Kaufmann und Prinz aus dem Oman. Er verachtete die Menschen des Landes für ihre Gelassenheit und ihr Ertragen. Er verstand es einfach nicht, dachte Kenize. Dieses Land ist altes Land. So alt wie die Welt selbst.
Sie begann, mit steifen Fingern ihre Stiefel aufzuschnüren. Die Haut an ihren Füßen war weiß vom Druck des harten Leders. Zwischen den Zehen hatten sich Blasen gebildet. Kein Wunder: Im Haus ihres Vaters hatte eine Magd ihr jeden Morgen die Füße mit Mandelmilch gewaschen und sie dann mit duftendem Öl eingerieben, ehe Kenize in ein Paar seidene Pantoffeln geschlüpft war.
Sie löste den Schnürverschluss am Kragen ihrer Jubbah. Das lange, weiße Hemd, das die Männer ihres Landes hier trugen, war so weit geschnitten, dass niemand auf Anhieb ihr wahres Geschlecht erraten konnte. Kenize hatte sich in der Nacht vor ihrer Flucht die schwarzen Haare abgeschnitten. Dann hatte sie dem fahrenden Händler in Mombasa drei Goldmünzen gegeben und war auf seinen Wagen gestiegen. Er hatte ihr von diesem Baum hier und der Schönheit des Landes erzählt. Drei Goldmünzen, das war eigentlich viel zu viel für die Reise ins Hochland. Aber nicht zu viel, damit der Mann ihr keine Fragen stellte.
Kenize streifte die Jubbah über ihren Kopf und stand einen Moment nackt im Schatten des Baumes. Ein leichter Wind kam auf, und Kenize fröstelte. Sie zog ein Gewand aus orangefarbener Seide aus der Tasche: Sie wollte Qasim in Schönheit begegnen. Ihre Finger glitten über die Münzen und den Schmuck, die unter dem Gewand verborgen gelegen hatten. Es war ihre Mitgift.
Wo sie hinging, konnte sie nichts mitnehmen. Kenize nahm einige der Ketten und warf sie weit von sich. Ein Armreif aus Gold und Saphiren rollte den Berg hinunter und verfing sich an einem Strauch. Kenize kippte nun den gesamten Inhalt der Tasche die Anhöhe hinunter und rüttelte an ihr, bis sie leer war.
Sie kleidete sich fertig mit dem Shalwar Khamiz: Erst band sie die weite, an den Fußgelenken schmal zulaufende Hose um ihre Taille, ehe sie sich das an Hals und Säumen bestickte Oberteil über den Kopf zog. Nun blieb nur noch der lange Schal. Qasim hatte ihn ihr geschenkt. Er kam aus einem der Länder, das er mit seiner Dhau angesteuert hatte. Das Schiff lag nun auf dem Grund des Indischen Ozeans. Das Meer war Qasims Grabtuch geworden. Nun wollte ihr Vater sie zwingen, einen anderen Mann zu heiraten. Als Brautgabe hatte er ihr einen Palast auf der Insel Lamu im Norden des Landes bauen lassen. Die Schwalben könnten dort ihre Nester haben, aber nicht sie selber, dachte Kenize.
»Ich komme, Qasim«, sagte sie und trat auf die knotigen Wurzeln des Baumes. Sie zog sich an einem Ast nach oben. Ihren Fuß setzte sie in ein Astloch, dessen dunkle Tiefe sie erstaunte. Sie stieg höher, bis es nicht mehr weiterging.
Die Sonne verschwand bereits hinter dem Horizont, und der Himmel füllte sich mit tiefdunklem Violett. Sie musste sich beeilen. Kenize formte eine Schlinge aus dem einen Ende des Schals. Sie legte sie sich um den Hals und knotete sein anderes Ende an den Ast, auf dem sie saß. Dann erhob sie sich und sprang.
Für Kenize begann die Nacht nur einen Augenblick früher als für die Welt um sie herum.

Kupenda heißt lieben, und so nannten die Menschen diesen Ort seitdem.

EMELIE: DAS ERBE DER ERDE

Diane

Diane erreichte die Anhöhe und trat in den Schatten des Baumes. Es war bereits später Nachmittag, doch die Kühle unter seinen Zweigen erfrischte sie wie ein Bad. Auf der Ebene wurden die Schatten lang, und die Farben schimmerten warm wie gebrannter Ton. Sie erinnerte sich an Paddys Vergleich für diese Landschaft: Er hatte gesagt, die Ebene wäre der Bauch einer liegenden Göttin, und die erloschenen Vulkane wären ihre vielen Brüste. Kein Wunder, dass er hier hatte begraben werden wollen.
»Guten Abend, Paddy«, sagte sie und entkorkte die Flasche Wein, die sie in ihrem Korb mitgebracht hatte. Es war ein Culemborg Rosé, sein Lieblingswein. Diane streckte ihre nackten, noch immer schlanken Beine im hohen Gras aus, und Guppy, der zahme Leopard, ließ sich an ihrer Seite nieder.