: Gill Thompson
: Das Kind von Gleis 1 Prag, 1939: Eine Mutter muss ihre Tochter retten - und riskieren, was man von keiner Frau verlangen kann
: Aufbau Verlag
: 9783841226495
: 3
: CHF 8.70
:
: Historische Romane und Erzählungen
: German
: 512
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB

Wie weit muss eine Mutter gehen, um ihr Kind zu schützen?

1939 Die jüdische Pianistin Eva sucht in Prag verzweifelt nach einem Weg, ihre Tochter Miriam vor den heranrückenden Deutschen in Sicherheit zu bringen. Als letzter Ausweg bleibt ihr, sie mit einem Kindertransport nach London zu schicken. Doch wie wird ihr Kind die Reise ins Ungewisse überstehen? In England bemüht sich die Britin Pamela, der kleinen Miriam ein Zuhause zu geben, muss aber gleichzeitig um ihre eigene Familie fürchten. Während beide Mütter erst glauben, das zu verlieren, was ihnen das Liebste ist, finden sie inmitten der Kriegswirren die Hoffnung auf Glück ...

'Eine warmherzige Geschichte über Liebe, Verlust und die Kraft der Menschlichkeit.' Kathryn Hughes.



Gill Thompson studierte Kreatives Schreiben an der Chichester University. Beim Schreiben wird sie oft von wahren Begebenheiten inspiriert, besonders die Schicksale von Kindern während des Zweiten Weltkrieges liegen ihr am Herzen. Thompson lebt mit ihrer Familie in West Sussex und arbeitet dort als Englischdozentin. Gabriele Weber-Jari? lebt als Autorin und Übersetzerin in Berlin. Sie übertrug u. a. Mary Morris, Mary Basson, Kristin Hannah und Imogen Kealey ins Deutsche.

Prolog
Prag, 1930


Eva schob ihren Klavierschemel zurück, die Stunde war beendet. Doch als sie die Noten in ihre Mappe stecken wollte, bedeutete Professor Nowotny ihr mit einer Handbewegung, noch zu bleiben.

»Nur eine Minute, meine Liebe. Ich möchte, dass du die Noten eines neuen Stücks mit nach Hause nimmst.« Er durchsuchte den gefährlich schiefen Turm der Notenhefte auf seinem Klavier.

Eva warf einen Blick auf die Wanduhr, die halb fünf zeigte, und hoffte, er würde das Gesuchte bald finden. Im Probenraum wurde es bereits dämmrig, in den Ecken nistete sich Dunkelheit ein. Nervös legte sie die Fingerspitzen auf die vergilbten weißen Tasten des Klaviers. Als sie das vertraute, kühle Elfenbein spürte, wurde sie ruhiger.

»Ah, hier ist es.« Nowotny schnaufte vor Anstrengung. »Hector Berlioz. Eine Villanelle ausLes Nuits d’Été. Eines seiner weniger bekannten Werke.« Er schaltete die Deckenlampe ein, die Dunkelheit verflog.

»Eine Villa … nelle?«, fragte Eva. Der Begriff war ihr neu, die Zeitnot schlagartig vergessen.

Nowotny winkte sie von dem Klavierschemel fort. Eva stellte sich an seine Seite. Sie wollte ihn beim Klavierspiel beobachten.

»Ein italienisches Lied.« Nowotny ließ sich auf dem Schemel nieder. »Es ist eine Ode an den Frühling und eine neue Liebe. Also sehr schön für ein junges Mädchen.« Er setzte die Brille auf, die an einer Kordel um seinen Hals hing, und nahm sie wieder ab. »Im nächsten Jahr findet im Rudolfinum ein Konzert zu Ehren Berlioz’ statt. Ich dachte, die Villanelle könnte dein erster Soloauftritt werden.«

Eva öffnete den Mund, um ihn zu korrigieren, und schloss ihn wieder, als er ungeduldig mit der Hand wedelte.

»Die Kinderwettbewerbe zählen nicht.«

Kinderwettbewerbe? Hatte sie nicht jeden von ihnen gewonnen? Sogar der prestigeträchtige Antonín-Dvořák-Preis für junge Künstler war darunter gewesen. Ein Bild blitzte vor ihr auf. Darauf hob sie strahlend ihre Trophäe, einen schweren Notenschlüssel aus Messing, hoch. Im Geist hörte sie den tosenden Beifall.

Nowotny stellte das Notenheft auf. »Ich spiele dir etwas daraus vor. Bitte schlag die Seiten für mich um.« Wieder setzte er die Brille auf.

Eva trat näher an ihn heran und bezwang ihre Ungeduld, doch inwendig flehte sie ihn an, ihr nur einige Takte vorzuspielen.

Nowotny war ein strenger Lehrmeister, aber sie sagte sich immer, dass er das nur war, weil er an ihr Talent glaubte und sie zu Höchstleistungen antreiben wollte. Und sie war auch stets bereit, ihr Bestes zu geben, doch nun zeigte die Uhr bereits zwanzig vor fünf, und ausgerechnet an diesem Tag durfte sie nicht zu spät nach Hause kommen.

»Wenn du darauf achtest, hörst du, wie die Liebenden durch den Wald gehen und wilde Erdbeeren pflücken.«

Bei dem Wort »Liebenden« errötete Eva. Manchmal sprach Nowotny mit ihr, als wäre sie nicht erst sechzehn Jahre al