: Gian Maria Calonder
: Engadiner Herzrasen Ein Mord für Massimo Capaul
: Kampa Verlag
: 9783311702658
: 1
: CHF 10.60
:
: Krimis, Thriller, Spionage
: German
: 192
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Als Massimo Capaul von der Polizeischule ins Engadin kam, um seine erste Stelle anzutreten, bereitete ihm nicht nur die Höhe Kopfschmerzen, sondern auch seine Wirtin. Denn die resolute Bernhild machte Capaul Avancen. Zum Glück fand sie aber schnell ein neues Opfer. Nur leider hat Bernhild wieder kein Glück in der Liebe. Dazu kommen Probleme mit der Polizei. Denn ihr Angebeteter, Theophrast Toutsch, Vertreter für Landwirtschaftsmaschinen und 71 Jahre jung, ist plötzlich tot und die Wirtin die Hauptverdächtige. Capaul will unbedingt herausfinden, ob seine Bernhild wirklich fähig ist zu einem Mord - und das, obwohl er wie schon so oft gar nicht mit dem Fall betraut ist.

Dass sich hinter GIAN MARIA CALONDER der Erfolgsautor Tim Krohn verbirgt, hat sich in der Schweiz nicht lange verheimlichen lassen. Seit 2014 lebt Tim Krohn im 350-Seelen-Dorf Santa Maria in der Val Müstair, einem Nebental des Engadins, das er daher bestens kennt. Tim Krohn ist 1965 in Nordrhein-Westfalen geboren, wuchs ab seinem zweiten Lebensjahr in der Schweiz im Glarnerland auf und wohnte danach gut zwanzig Jahre lang in Zürich. Er gewann unter anderem das Berliner Open Mike, den Conrad-Ferdinand-Meyer-Preis, den Preis der Schweizerischen Schillerstiftung und den Kulturpreis des Kantons Glarus. Im Kampa Verlag sind erschienen: Die heilige Henni der Hinterhöfe und die Alpensage Der See der Seelen.

I


Wie jeden Morgen stand Massimo Capaul mit dem ersten Zwitschern der Amsel in der Lärche hinterm Haus auf, schlich an Metas Zimmer vorbei und die knarrende Holztreppe hinunter, um die italienische Espressokanne auf den vorsintflutlichen Herd zu stellen. Während er sich am abgestoßenen Spültrog wusch, hörte er durchs schlecht gekittete Fenster das gleichmäßige Rauschen des Zugs von Scuol, der oberhalb des Dorfs den Berghang entlangfuhr, ungebremst am Stationshäuschen von Lavin vorbei und weiter nach Sagliains. Zwanzig nach sechs. Seit Capaul den Dienst bei der Kantonspolizei quittiert hatte, blieb das Handy abgeschaltet, die alte, geliebte Omega-Armbanduhr, die ihn seit seiner Jugend begleitet hatte, war beim Umzug ins Engadin verloren gegangen. Nun waren die Züge seine Uhr. In Lavin galt Halt auf Verlangen. Der erste Zug fuhr durch, der zweite hielt an, gestoppt vom jüngsten Sohn des Bäckers, Baltisar Grass, der zu seiner Lehrstelle in Zernez fuhr. Damit war es sieben Uhr, Zeit für Meta, aufzustehen, und Capaul hatte zu verschwinden.

Wobei das keine Regel war, nur eine unausgesprochene Gewohnheit. Seit dem Tod ihres Mannes waren die Nächte Metas schwierigste Zeit, Albträume quälten sie, und morgens benötigte sie jeweils ein bis zwei Stunden, um sich zu fassen. Hatte sie die nicht, gerieten Capaul und sie leicht aneinander. Diese Auseinandersetzungen endeten meist mit der Feststellung: »Ich wusste ja, dass es nicht funktioniert«, danach folgte entweder der Satz: »Ich ziehe aus« (Capaul) oder: »Es wird das Beste sein, du ziehst wieder aus« (Meta). Was sie beide nicht wollten. Sie wollten, dass es funktionierte. Sie wollten, dass er blieb. Sie wollten eines Tages ein Zimmer teilen, gemeinsam aufwachen, sich am Gesang der Amsel freuen, die Hände am Herdfeuer wärmen und die Kaffeetasse teilen. Doch der Weg dahin war zäh.

Wie immer streckte Capaul den siedend heißen Kaffee mit viel Milch, trank ihn stehend in einem Zug, zog Jacke und Bergschuhe an und verließ das Haus.

Er eilte nicht nur Metas wegen. Er liebte es, am frühen Morgen bergwärts zu steigen, und wollte die Stunde nicht verpassen, in der es unten am Inn noch ganz dämmerig war und das kreuzförmige Gewächshaus der Gärtnerei funkelte wie ein Kristall in seiner Höhle. Die Häuser von Guarda, das auf einer Terrasse oben am Hang lag, leuchteten matt wie Eier in einem Nest, während die Berge über Scuol scharfkantig in den diesigen, blass rosafarbenen Himmel ragten. Dagegen wirkten die Felswände des Pisoc und des Lischana bläulich, mit schlickbraun schimmernden Wäldern. Nur über Österreich leuchtete schon der helle Tag.

Im Herbst war dies die Stunde der Jäger, jetzt im April war kaum jemand unterwegs. Nur die Waldarbeiter schnitten mit heulenden Sägen bereits Fallholz, und irgendwo ratterte ein Bagger. An den schattigen Stellen lagen noch Reste von Schnee, die Wiesenflanken darunter waren getränkt von Schmelzwasser, jeder Schritt schuf quatschend eine Pfütze, und es duftete nach Fruchtbarkeit. Die Wiesen waren voll mit weißen, gelben, rosenrot- und lilafarbenen Blümlein, deren Namen Capaul von Meta gelernt hatte – Küchenschelle, Zwergbuchs, Frühlingskrokus, Schneeheide –, nur vergaß er hartnäckig immer wieder, welche Blume welchen Namen trug.

Nachdem er sich auf einen unter der Schneelast gestürzten Baum gesetzt hatte, beobachtete er Metas Haus, ein großer, vergleichsweise schmuckloser Kasten, nach dem Dorfbrand vor rund hundertfünfzig Jahren als typ