Freitag, 23. Januar
Hatte sie sich beim Parken noch gefragt, ob es richtig war, was sie tat, waren sämtliche Zweifel nunmehr verflogen. Isabell Schmidt gab den Code ein, der die Tür freigab. Das Haus reihte sich ein in elegante Gebäude aus der Jahrhundertwende, die allesamt zwar protzig wirkten, aber nicht weiter auffielen, weil es in dem Viertel keine anderen Gebäude gab. Die Straßenlaternen standen hier enger, und die Hecken waren gepflegter, aber auch höher als anderswo. Wie von unsichtbarer Hand war einer der beiden Torflügel aufgeschwungen. In der Doppelgarage stand das Auto ihres Mannes, doch dieser befand sich in New York.
Ein anderer wartete im Haus auf sie.Er wartete, genau so, wie die beiden es verabredet hatten.
Sie hatte ihm die sechsstellige Kombination des Codeschlosses verraten. Das war ein akzeptables Risiko, denn ihr Mann oder sie selbst änderten die Zahlenfolge regelmäßig. Zuerst war es einer ihrer Jahrestage gewesen; der Kennenlerntag, der Verlobungstag, der Hochzeitstag. Später wich die Romantik der Einfachheit. Mathematische Zahlenreihen, Muster auf dem Bedienfeld. Aktuell war es 1-5-9-3-5-7, man zeichnete damit ein X.
Heute sollte es passieren. Isabell hatte ihn vor ein paar Wochen kennengelernt. Wie aus dem Nichts war er in ihr Leben getreten. Sie glaubte nicht an Schicksal, doch in ihrem Inneren spürte sie, dass ihre Begegnung eine tiefere Bedeutung haben musste. Scheu und ganz die biedere Ehefrau gebend, hatte sie sämtliche Komplimente hingenommen, aber nicht erwidert. Doch mit der Zeit konnte, nein, wollte sie sich nicht mehr verschließen. Leonhard Schmidt jagte von einer Konferenz zur nächsten. Rio, New York, Tokio. Früher hatte sie ihn begleitet. Doch ihre Leben besaßen längst keine Schnittmenge mehr. Die Villa war zum goldenen Käfig geworden.
Heute hatte sie ihm den Schlüssel zu diesem Käfig gegeben. Würde ausbrechen aus ihrem Gefängnis. Isabell spürte die Hitze, die sich in ihr ausbreitete, als sie den Weg entlangschritt, der zwischen mannshohen Fliedern zum Eingangsportal führte.
Er erwartete sie, als gehörte er schon immer hierher. Bis dato hatte es keinerlei körperlichen Kontakt zwischen ihnen gegeben, bis auf einen scheuen Kuss in einem Parkhaus, bei dem seine Zungenspitze die ihre berührt hatte. Isabell hatte stundenlang nicht schlafen können. Zuerst war es das Gewissen gewesen, dann aber etwas ganz anderes. Sie hatte den Vibrator aus der Schublade gezogen, der unter den Seidenslips ruhte, die niemand außer ihr mehr beachtete. Dreimal hatte sie sich befriedigt, leise jauchzend, als gäbe es jemanden, den sie wecken könnte. Dabei hatte sie sich vorgestellt, wie es wäre, wenn seine Zunge über ihre Brüste wanderte. In sie hinein. Wenn sie sich vereinigten.
Heute wollte sie es spüren.
Sie umarmten sich. Dann nahm er ihren Kopf zwischen die Hände. Ihre Blicke fingen einander.
»Du hast mir gefehlt«, hauchte Isabell. Sie spürte die warmen Lippen, die sie auf die Stirn küssten.
»Du mir auch. Ich habe mich den ganzen Tag auf diesen Moment gefreut.«
Sie versuchte, sich aus dem Mantel zu winden, ohne sich aus seiner Nähe zu befreien.
»Hattest du keine Angst, gesehen zu werden?«, fragte sie unsicher.
»Nein, du etwa? Hast du Angst, dass wir beide auffliegen?«
»So habe ich das nicht gemeint.« Sie versuchte, sich zu entspannen, doch es gelang ihr nicht. »Ich meine ja nur.«
»Setz dich. Wo ist dein Lieblingsplatz?«
Sie deutete auf die Ecke der Couch, von der man den Fernseher sehen und gleichzeitig die Beine hochlegen konnte.
»Setz dich«, kam es erneut. Die Stimme schnurrte fast, dazu spürte sie sanfte Berührungen, die Gefühle in ihr hervorbrachten, die sie längst verloren geglaubt hatte. Sie schloss die Augen, während sie die warmen Hände auf ihren Schultern spürte. Leicht massierend, dazu ein Summen. Ein Blinzeln ließ sie die Champagnerschalen auf dem Tisch entdecken.
»Dein Mann ist also in New York?«
Sie nickte.
»Wie viele Bonusmeilen ergibt das?«
Isabell musste lachen. »Was ist das denn für eine Frage?«
»Interessiert mich halt. Ich mag es außerdem, wenn du lachst. Also hat die Frage