EINS
»Sie waren mit Unterjessaul Krigow befreundet, nicht wahr, Juri Jewgenjewitsch?«
Oberst Surganow sieht Lissizyn freundlich, fast freundschaftlich in die Augen, aber der bleibt wachsam. Außerdem: Wieso »waren«?
Wenn einem der erste Mann der Armeespionageabwehr eine Frage stellt, muss man wohlüberlegt, aber in erster Linie schnell antworten. Lissizyn fällt gerade noch ein, dass der Oberst die richtige Antwort bereits kennt und mit der Frage nur seine Aufrichtigkeit testen will.
»Jawohl, Herr Oberstleutnant! Nur, warum ›waren‹? Wir sind doch immer noch befreundet.«
Er bemüht sich, Surganows fuchsartigem Blick standzuhalten, seinen erhobenen Augenbrauen, den nach oben gezogenen Mundwinkeln. Versucht einen ähnlichen Gesichtsausdruck – kameradschaftlich und höflich. Als hätte er keine Ahnung von den Säuberungsaktionen innerhalb der Armee, die Surganow befiehlt.
»Immer noch befreundet. Soso.«
Der Georgssaal im Großen Kremlpalast war erfüllt von dem Knarzen von Leder und heiserem Geflüster, vom Geruch des Rasierwassers der Offiziere, das wie Riechsalz in der Nase brannte, und dem süßlichen Duft von Tabak.
Man erwartete den Zaren.
Nur die goldenen Georgskreuze hoben sich von dem weißen Marmor der Wände ab. Von der Decke leuchteten riesige bronzene Lüster mit Hunderten von Kerzen, das spiegelglatte Fischgrätenparkett glänzte unter den Stiefeln. Vor den Wänden standen rote samtbezogene Bänke, aber sitzen durfte man darauf natürlich nicht; genauso wenig, wie man durch den Saal spazieren durfte. Nur von einem Bein aufs andere treten war erlaubt.
Seit anderthalb Stunden warteten sie schon. Wenn es sein musste, würden sie noch ewig warten: Stellung halten konnten die Kosaken.
»Jedenfalls, stell dir vor, sie war noch Jungfrau!«, flüstert Sascha Krigow Juri Lissizyn begeistert ins Ohr. »Was das angeht, hab ich echt Schwein, ich weiß auch nicht, wieso!«
»Du bist eben ein Romantiker«, flüstert Lissizyn zurück. »Die spüren, dass man sich so einem anvertrauen kann. Und wenn sie’s dann kapiert haben, ist die Falle schon zu.«
Lissizyn ist nervös, hat in der Nacht kaum geschlafen. Aber Krigow tut, als sei nichts.
»Die sind scharf auf die Uniform. Besonders auf die Mütze«, verrät Krigow. »Die muss im Café nur auf dem Tisch liegen, und sie schmelzen förmlich dahin. Die kommen ganz von allein.«
»Du hast bloß Glück. Wenn ich das Ding da hinlege, kommt nur die Polizei und fragt nach meinem Urlaubsschein. Von Weibern keine Spur.«
»Weil du vom Dorf bist, Jura. Ein Landei. Du würdest ihnen wahrscheinlich ein paar Sonnenblumenkerne anbieten, oder?«
»Ja, na und?«
»Nix und. Ich werd dir heut Abend mal zeigen, wie das hier in Moskau läuft. Wir gehen zu den guten Angelplätzen und werfen ein paar frische Köder aus!«
Die Tür fliegt auf, und in den Saal kommt der Truppenälteste gestampft, ein graubä