Unerklärtes an Kriegen: Essay zur Neuausgabe
«Ihr werdet zehn von uns töten, wir werden einen von euch töten, aber ihr werdet zuerst ermüden» (Ingraham 2015). Im Jahr 1946 richtet der Vietminh-Führer Ho Chi Minh (1890–1969) diese Botschaft an Paris. Dort hingegen ist man – nach den deutschen und japanischen Niederlagen im Jahre 1945 – zuversichtlich, die Herrschaft über das zwischenzeitlich an Tokio verlorene Indochina wieder aufrichten zu können.
Die Warnung wird in den Wind geschlagen. Gleichwohl erfüllt sie sich in der 1954er Entscheidungsschlacht von Dien Bien Phu. Französische Fallschirmjäger und Fremdenlegionäre – darunter ehemalige Soldaten von Wehrmacht und Waffen-SS (Toumelin 2013) – bringen dem Gegner dreimal höhere Verluste bei, als sie selbst erleiden. An der europäischen Niederlage ändert das nichts. Was wird damals und auch heute an Kriegen nicht verstanden?
Wenn militärische Konflikte als Rassen-, Religions-, Rohstoff-, Macht- oder Freiheitskriege in die Geschichtsbücher eingehen, bringen die Forscher – oftmals unbewusst – ihre Erklärungsmuster für Kriege zum Ausdruck. Von ethnischen Differenzen, rituellen Besonderheiten, ökonomischen Knappheiten und imperialen Konkurrenzen, für die sie unstrittige Belege vorweisen, schließen sie auf die Unvermeidlichkeit ihres Umschlagens ins Töten. Doch bei genauerem Hinschauen gibt es Friktionen in all di