Am 1. Juni 2022 ist Joseph Zoderer, einer der bedeutendsten Autoren Südtirols, in Bruneck verstorben. In seiner Biografie spiegeln sich die Geschichte Südtirols und ihre Verflechtungen mit der Geschichte Österreichs, Italiens und Deutschlands im 20. und 21. Jahrhundert sowie die Umbrüche im literarischen und kulturellen Leben Südtirols nach 1968.
1935 in Meran geboren, kam Zoderer mit seiner Familie im Zuge der Option nach Graz, wo er seine weitere Kindheit verbrachte. 1948 wurde ihm der Besuch des klassisch-humanistisch ausgerichteten Internats des römisch-katholischen Ordens der Weißen Brüder in Widnau in der Ostschweiz ermöglicht, dessen Schüler er bis 1952 war. Nach dem Austritt aus dem Internat arbeitete Zoderer kurze Zeit als Hilfsarbeiter in der Schweiz, 1954 kehrte er nach Südtirol zurück. Durch das sogenannte Optanten-Dekret vom 2. Februar 1948 konnten seine Eltern bereits 1950 von Graz nach Südtirol rückübersiedeln. 1957 legte Zoderer in Meran die Matura ab und zog noch im selben Jahr nach Wien, wo er Rechtswissenschaft und Theaterwissenschaft inskribierte und zudem Lehrveranstaltungen aus Philosophie und Psychologie besuchte. Zugleich arbeitete er bis 1967 als Journalist für mehrere österreichische Tageszeitungen(Kurier, Kronen Zeitung, Die Presse).
Ende der Fünfziger-/Anfang der Sechzigerjahre entstanden erste literarische Arbeiten und Zoderer versuchte im Literaturbetrieb Fuß zu fassen. 1965 und 1969 nahm er an den Österreichischen Jugendkulturwochen in Innsbruck teil und verfolgte die kulturelle Aufbruchsbewegung 1968 in Österreich. So besuchte er u. a. am 7. Juni 1968 die skandalisierte Aktion „Kunst und Revolution“ an der Universität Wien und befasste sich mit der Kunstauffassung Oswald Wieners, der die fortgesetzte Revolutionierung, ja Zerstörung der staatlichen Ordnungsstrukturen durch die Kunst forderte – ein Postulat, dem Zoderer skeptisch gegenüberstand, wie aus seiner Tagesnotiz vom 19. Juni 1968 hervorgeht. Überzeugender als das Revolutionspostulat Wieners fand er die Anschauungen des jüdischen Literaturhistorikers und Kafka-Forschers Eduard Goldstücker. Goldstückers Auffassung, dass die Literatur auch utopische Funktion habe, kommentierte Zoderer in der Tagesnotiz vom 19. Juni 1968 nach dessen Vortrag im Auditorium Maximum der Universität Wien am 18. Juni wie folgt: „Der Schriftsteller hat aufzuklären, zu integrieren, zu psychoanalysieren u. zu, kurz Irrationales für uns [unleserl.] urbar machen für Logisches, und trotz allem: zu heilen, Teilhabe an der Illusion, ohne die wir nicht überleben könnten, denn sie i