: Angela Lembo-Achtnich, Jonny Fischer
: Ich bin auch Jonathan Jonny Fischer - Die Geschichte einer Versöhnung
: Wörterseh Verlag
: 9783037638170
: 1
: CHF 26.30
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: Biographien, Autobiographien
: German
: 272
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Als schwarzes Schaf der Familie bezeichnet Jonny Fischer den Jungen, der er einst gewesen ist. Auf den Namen Jonathan getauft, wuchs er in einem streng christlichen Elternhaus auf. Für bedingungslose Liebe war kein Platz. Als Jonathan zehn war, gründete sein Vater eine radikale Glaubensgemeinschaft und teilte die Welt noch mehr als zuvor in Gut und Böse ein. Obwohl Jonny Fischer als Teenager dem Sektenjungen Jonathan den Rücken kehrte, seinen Namen änderte und am Lehrerseminar in Zug ein neues Leben begann, konnte er sich der Prägung, die er in seiner Kindheit erfahren hatte, nie ganz entziehen. Erst recht nicht, als er sich einzugestehen begann, dass er sich zu Männern hingezogen fühlt. Sosehr er sich auch bemühte, er fand nicht, wonach er suchte. Jonny Fischer verausgabte sich bis zur Erschöpfung. Verletzungen, Schlaflosigkeit, Alkohol in rauen Mengen und 2012 der Zusammenbruch, der in einer Klinik endete. Der Weg aus der Krise führte ihn in die dunkelsten Winkel seiner Vergangenheit und zur Erkenntnis, dass er Anerkennung und Liebe zuallererst bei sich selbst suchen musste. In diesem Buch schildert er die Versöhnung mit seiner Geschichte, die Versöhnung mit Jonathan.

Angela Lembo-Achtnich, geb. 1973, studierte Rechtswissenschaften an der Universität Zürich sowie Journalismus am Medienausbildungszentrum MAZ in Luzern. Sie schrieb unter anderem für 'Wir Eltern' und den 'Tages-Anzeiger'. Seit 2008 arbeitet sie als Redaktorin bei der 'Schweizer Familie', für die sie Reportagen und Porträts schreibt. Nach einem Interview, das sie für diese Zeitschrift mit Jonny Fischer geführt hatte, wusste sie, dass seine Geschichte zwischen zwei Buchdeckel gehört. Angela Lembo-Achtnich ist verheiratet und Mutter von zwei Kindern. Sie lebt in Bisikon ZH. Jonny Fischer, geb. 1979 in Läufelfingen BL, trat nach seiner Ausbildung am katholischen Lehrerseminar Sankt Michael in Zug eine Stelle als Sport- und Biologielehrer an der Rudolf-Steiner-Schule in Baar ZG an. In jener Zeit nahm das Comedy-Projekt mit Manu Burkart Fahrt auf, sodass er 2005 den Lehrerjob an den Nagel hängte und sein Hobby zum Beruf machte. Mit Erfolg: Seit 2007 spielen Divertimento vor ausverkauften Rängen, gewannen fünfmal einen Prix Walo und füllten 2015 zweimal hintereinander das Zürcher Hallenstadion. Neben der Bühne tritt Jonny Fischer auch als Juror in Casting-Shows oder als Moderator im Schweizer Fernsehen auf. Zudem stieg er 2019 in die Geschäftsleitung des Gesundheitsunternehmens Zenmove ein. Jonny Fischer hat viel erreicht. Doch der Erfolg machte ihn lange nicht glücklich. Im Gegenteil, er verstärkte das Gefühl der Einsamkeit. Je heller das Rampenlicht im Verlauf seiner Karriere leuchtete, desto dunkler lauerte am Bühnenrand der Abgrund. Denn aller Applaus konnte nicht die Überzeugung auslöschen, die in Kindertagen zementiert worden war: Er konnte sich anstrengen, so sehr er wollte, er genügte nie. Und dadurch viel zu lange auch sich selbst nicht. Heute ist Jonny Fischer glücklich verheiratet. Er lebt in Zug.
 

EINS


1995 im Elternhaus in Läufelfingen


Als Jonathan fünfzehn war, traf er eine Entscheidung, die sein Leben verändern sollte. Er sass im oberen Stock seines Elternhauses im Andachtsraum und liess ein letztes Mal die sonntägliche Routine auf sich wirken. Den schwefligen Geruch der Streichhölzer, mit denen der Vater die Kerzen beim Altar anzündete. Das Rascheln des Papiers, auf das dieser seine Predigt geschrieben hatte. Das Klingen der Gitarrensaiten, die sein Bruder für die Begleitung des Gottesdienstes stimmte. Und das Schaben der Stuhlbeine auf dem Teppich, als sich der Raum allmählich mit Menschen füllte. An die dreissig Angehörige von Vaters Kirche waren gekommen. Hier ein Hallo, da eine Umarmung, dort ein Nicken.

Ein Sonntag wie jeder andere im Hause Fischer. Nicht für Jonathan. An diesem Morgen wollte er sein Schweigen brechen. Er konnte nicht länger mit einer Lüge leben. Als der Gottesdienst begonnen hatte und die Töne des ersten Liedes verstummt waren, trat der Junge an den Altar. Vor seinen Vater, die Mutter, seine Geschwister und die Glaubensgemeinde. Er blickte in die Gesichter der Menschen, die er seit Jahren kannte. Angstschweiss trat aus seinen Poren. Hitze durchströmte seine Wangen. Er spürte das Pochen seines Herzens in seinem Kopf.

»Ich muss euch etwas sagen«, begann er. »Was wir machen, passt nicht in mein Leben. Ich gehöre hier nicht dazu.« Schweigen. Jonathan traten Tränen in die Augen. Seine Stimme brach. Doch er sprach weiter: »Ich glaube nicht, was ihr glaubt. Heute sehen wir uns zum letzten Mal in diesem Rahmen. Ich werde nicht mehr kommen.«

Weinend rannte Jonathan in sein Zimmer, nicht ahnend, was sein Entschluss für sein künftiges Leben bedeuten würde.

Geburt und frühe Kindheit


Das Fruchtwasser brach am 3. Dezember 1979, als Helen Fischer einen Topf aufs Regal heben wollte. Ein klares Zeichen – ihr viertes Kind wollte raus. Das Haus war still. Alle schliefen. Helen zog ihren Mantel an und trat in Hausschuhen hinaus in die verschneite Winternacht. Sie stapfte über die Strasse und klingelte bei der Hebamme, die ein paar Häuser weiter wohnte. Dort brachte sie ihr Baby zur Welt. Die Geburt dauerte nicht lange. Ein paar heftige Wehen, dann erschien das Kind. Die Hebamme hob es in die Höhe. Es schrie laut. Erst als es endlich bei seiner Mutter im Arm lag, beruhigte es sich.

Ein Junge, 3360 Gramm. Die Eltern nannten ihn Jonathan. Ein hebräischer Name. Er bedeutet »Geschenk Gottes«. Genau das war dieses Kind. Ein von Gott gewolltes Bündel Leben. Der himmlische Vater hatte ihnen diesen Menschen anvertraut, obwohl Helen und Erich Fischer zu Beginn ihrer Beziehung keine gemeinsamen Kinder haben wollten.

Die Geschichte von Helen und Erich Fischer begann in den frühen Siebzigerjahren. Damals war Helen bereits verheiratet. Mit Paul, einem Künstler. Sie hatten einen Sohn und eine Tochter. Die Ehe kriselte, weil Paul nicht von anderen Frauen lassen konnte. Für beide war klar, dass die Beziehung sich dem Ende zuneigte. Doch Paul wollte seine Frau mit den zwei Kindern nicht ihrem Schicksal überlassen. Er hatte einen Plan: Helen brauchte einen neuen Partner. Deshalb brachte er eines Abends Erich Fischer, einen Keramikkünstler, zum Abendessen mit nach Hause. Er hatte ihn im Militärdienst kennen gelernt. Helen erinnert sich, wie Erich in ihr Haus kam, noch immer im »Militärgwändli«, in der Hand einen Korb mit seinen Habseligkeiten – eine Zahnbürste, frische Wäsche, eine Flöte und ein Buch. Als ihr Mann Paul schon im Bett lag, philosophierte sie mit dem Gast bis spät in die Nacht. Sie bewunderte ihn. Er war frei, tat, was ihm gefiel. Ein Künstler. Pauls Plan ging auf.

Helen verliebte sich und bezog samt ihren beiden Kindern mit Erich eine Wohnung. Er verwöhnte sie und betete sie an – in seinen guten Zeiten. Doch Erich hatte auch schlechte Zeiten. Tage, an denen ihn die Erinnerungen in ein Loch zogen. Erinnerungen an den Vater, der Bierbrauer gewesen war. Daran, wie der Vater die Mutter nachts im Nebenzimmer angeschrien und traktiert hatte. Wie er auch mit ihm verfahren war. Wie er ihn als Kind hatte schuften lassen, wie er den hochsensiblen Knaben geschlagen und mehr als einmal im Brunnen um ein Haar ertränkt hatte. Helen war überzeugt, dass Erichs Vater seinen Sohn in der Kindheit gebrochen hatte.

Sie dagegen war in einer glücklichen Familie gross geworden, in einem Haus voller Glauben und Liebe. Der Vater hatte die Tochter studieren lassen, damit sie Lehrerin werden konnte. Sie empfand es als Privileg, für das sie stets dankbar gewesen war. Eines Tages war sie auf dem Heimweg von der Schule im Gebiet der Basler Heuwaage ein paar Gestalten begegnet – verwahrlosten Menschen, wie es sie später auf dem Zürcher Platzspitz zu Hunderten gab. Helen hatte sie angesehen und ein Gebet zum Himmel geschickt: »Lieber Gott, ich darf so schön aufwachsen, meine Eltern lieben mich, und ich darf machen, was ich gern tue. Wenn ich nur einen von diesen Menschen retten könnte, hätte sich mein Leben gelohnt.«

Dieses Erlebnis vergass sie. Erst als sie mit Erich zusammen war und ihm schwer ums Herz wurde, kam es ihr wieder in den