Kapitel 1
Wie ein schlafender Faun lag er neben ihr, der sandfarbene Schopf zerzaust, die langen Beine lässig ausgestreckt, der rechte Arm angewinkelt auf dem Kopfkissen. Das Gesicht mit der kecken Nase wirkte entspannt und erstaunlich jung. Sogar die Falte zwischen den hellen Brauen war verschwunden. Sein Brustkorb hob und senkte sich regelmäßig. Gerade noch hatten sie sich geliebt, so leidenschaftlich wie schon lange nicht mehr, und Susa fühlte sich beschwingt und glücklich, denn es war beileibe nicht immer einfach, diesem rätselhaften Mann nah zu sein.
Dabei war es doch genau das, was sie von Anfang an fasziniert hatte: jene verwirrende Mischung aus Vorpreschen und Rückzug, dieses Spiel aus Offenbaren und Verbergen, das Wolf wie kaum ein anderer beherrschte.
Er bewegte sich im Schlaf, murmelte etwas und drehte sich dabei, sodass er ihr nun den Rücken zuwandte. Susa lächelte unwillkürlich. Seine Hüften waren nicht mehr ganz so schmal wie früher. Doch von hinten sah er immer noch aus wie ein großer Junge: schlaksig und sommersprossig, mit Schulterblättern, die wie Engelsflügel herausragten und ihm einen Hauch von Unschuld verliehen. Ein Bekannter hatte ihn einmal mit dem jungen John F. Kennedy verglichen, und damals hatte Susa sich darüber mokiert, weil es ihr so unendlich altmodisch erschienen war. Im Nachhinein betrachtet, fand sie das Bild gar nicht so schlecht. Und dennoch hatte sie Wolf nie davon erzählt, wollte seine Eitelkeit nicht noch zusätzlich füttern. Schon genug, dass er sich in der neuen Wohnung eines der kleineren Zimmer allein für seine Klamotten reserviert hatte, während ihre Sachen nach wie vor in einen mittelgroßen Schrank passten.
Susas Blicke glitten durch den Raum, und zum ersten Mal, seit sie hier wohnten, fand sie ihn beinahe schön. Insgeheim hatte sie zwar von einem taubenblauen Schlafzimmer geträumt, doch Wolf hatte für elegantes Grau plädiert und die Wände eigenmächtig in diesem Ton streichen lassen, was Susa maßlos geärgert hatte. »Ungefähr so gemütlich wie ein Sektionssaal«, war ihr herausgerutscht, während Wolfs gekränkter Blick Bände gesprochen hatte.
Allerdings war das Mitte Januar gewesen, an einem fahlen, matschigen Nachmittag, an dem man hätte glauben können, der Winter würde niemals enden. Jetzt jedoch, während immer mehr Blätter an den Bäumen sprossen und das Licht seine Kraft zurückeroberte, wirkte das Grau des Schlafzimmers längst nicht mehr so hart. Sicherlich trugen auch die weißen Vorhänge, die sich gerade in einer sanften Morgenbrise bauschten, einen Teil dazu bei. Und dennoch fiel es Susa schwer, in der neuen Wohnung heimisch zu werden. Ihr saß noch immer die Umzugsphase in den Knochen, in der Wolf und sie sich häufig angeraunzt und wegen Kleinigkeiten gestritten hatten. Immer öfter war Wolf ihr in jenen Wochen wie ein Fremder erschienen, zu dem sie keinen Zugang mehr fand. Irgendwann hatte sie es einfach aufgegeben, sich gegen seine Vorschläge durchzusetzen, und ihn machen lassen, was sie inzwischen allerdings bereute. Für ihren Geschmack war alles hier eindeutig zu perfekt: fünf Zimmer auf zweieinhalb Ebenen, die Einbauküche, der umlaufende Balkon, selbst die gepflasterte Dachterrasse mit ihrer grandiosen Aussicht auf das Isar-Hochufer. Sie wohnten – mit beachtlichen Bankkrediten belastet – in der Maria-Theresia-Straße, einer der besten Gegenden Münchens, in der Nähe des Bayerischen Landtags, wo man damit rechnete, dass jeder Quadratmeter im Laufe der Jahre auch weiterhin steigende Erträge erzielen würde.
Susa sehnte sich zurück nach der gemütlichen, stets ein wenig chaotischen Mietwohnung in Schwabing, in der sie erst mit Bille und schließlich mit Wolf gelebt hatte, drei Zimmer im obersten Stock ohne Lift, unweit vom Standesamt, sodass man vom Küchenfenster aus beste Sicht auf die aufgeregten Hochzeitsgesellschaften hatte. Natürlich waren die Wände dort schief gewesen, das Parkett hatte seine besten Tage hinter sich gehabt und die Heizung an eisigen Tagen gestreikt, aber nirgendwo hatte Susa sich geborgener gefühlt als dort. Deshalb hatte sie sich lange gegen einen Umzug gesträubt, doch Wolf war es schließlich gelungen, ihre Bedenken mit scheinbar unschlagbaren Argumenten zu unterhöhlen.
»Ich werde Kunden auch mal privat einladen müssen, das gehört zu unserem Business. Außerdem sind es von hier aus nur ein paar Schritte bis zu deinem Laden. Du brauchst nie mehr im Stau zu stehen oder stundenlang um den Block zu fahren und einen Parkplatz zu suchen. Du kannst dein Auto verkaufen und brauchst nicht mal ein Fahrrad, wenn du nicht willst.«
Er dachte an ihre Bedürfnisse, auch wenn es manchmal ein wenig spöttisch herauskam, was Susa ihm jedoch nicht weiter übel nahm, weil sie ja wusste, wie schwer es ihm fiel, große Gefühle zu zeigen. Er war ihr Liebster, ihr Partner, ihr Leben. Und die kleinen Schwierigkeiten, die in Ehen ab und an für Missstimmung sorgen konnten? Doch nicht bei ihnen! Es war lediglich der Stress rund um den Umzug gewesen, der ihre Nerven ein wenig strapaziert hatte. Susa Wolf, so zogen jene Single-Freunde sie auf, bei denen sie seit Jahren als Musterpaar galten. Wolf Susa, so witzelten