Prolog
Neunzehn Jahre zuvor
Chevy Chase, Maryland
Sonntag,12. Januar,22.30 Uhr
»Gib mir endlich den verdammten Schlüssel, Sherri«, sagte Thomas.
Sherri Douglas verdrehte die Augen, schloss die Fahrertür ihres alten Ford Escort ab und warf ihm den Schlüssel über den zerschrammten Lack des Wagendachs hinweg zu. »Hier.«
Plötzlicher Schmerz verzerrte Thomas’ finsteres, von violetten Malen übersätes Gesicht, als er reflexartig den Arm hob und den Schlüssel auffing. Er erstarrte kurz, dann ließ er den Arm mit einem scharfen Atemzug sinken. »Scheiße!«
»Oh, tut mir leid, Tommy. Das war echt blöd von mir.« Sherri bereute ihre Gedankenlosigkeit sofort.
Thomas setzte eine neutrale Miene auf und schürzte die Lippen, entspannte sie jedoch sofort wieder, denn auch sie hatten einiges abbekommen.
Sherri wäre am liebsten in Tränen ausgebrochen. Sein wunderschönes Gesicht war … immer noch eine Augenweide. Aber übel zugerichtet. Der Anblick seiner Verletzungen ließ ihr das Herz bluten. Sie wünschte, sie könnte auf irgendetwas einschlagen. Auf jemanden. Genauer gesagt, auf vier Typen. Mit zusammengekniffenen Augen rief sie sich die Gesichter der Jungen ins Gedächtnis, denen er all das hier zu verdanken hatte. Sie hasste sie, alle miteinander. Sie rammte ihre zu Fäusten geballten Hände in die Jackentaschen. Sie zu verprügeln würde Thomas auch nicht weiterhelfen.
Und ihr Vater würde sie umbringen, wenn auch sie noch Ärger bekäme, zumal er ohnehin alles andere als begeistert darüber war, dass sie mit einem weißen Jungen zusammen war. Ha! Ein weißer Junge. Wäre es nicht so traurig und frustrierend, könnte man sich glatt totlachen. Thomas war zu schwarz, um in der Schule akzeptiert zu werden, aber eindeutig nicht schwarz genug für ihren Vater. Wenigstens hatte er ihr nicht verboten, sich mit ihm zu treffen – falls doch, hätte Sherri sich sowieso nicht daran gehalten. Aber was, wenn auch sie jetzt vom Unterricht suspendiert wurde, so wie Thomas? Sollte es dazu kommen, würde ihr Vater dafür sorgen, dass sie sich niemals wiedersahen.
Suspendiert. Sie hatten ihnsuspendiert! Sie konnte es immer noch nicht fassen. Wieunfair!
»Hör sofort auf, dich als blöd zu bezeichnen!«, sagte Thomas leise.
Sie blinzelte verwirrt, ehe der Groschen fiel. Dabei war es tatsächlich dämlich gewesen, das abrupte Auffangen von ihm zu erzwingen. »Ich hätte daran denken müssen«, erwiderte sie. Denn nicht nur sein Gesicht war in Mitleidenschaft gezogen worden, sondern sie hatten auch auf seine Arme und Beine eingeprügelt. Mit zusammengebissenen Zähnen kämpfte sie erneut gegen ihre aufsteigenden Tränen an.
Sie hatten ihm wehgetan.Diese elenden Dreckschweine. Sie hatten ihn verletzt.
Thomas schüttelte den Kopf. »Ist schon gut, ich werd’s überleben.« Er trat um den Wagen herum und streckte ihr resigniert die Schlüssel hin. »Bitte, Sherri, gib mir den richtigen Schlüssel. Ich bin zu fertig für diese Spielchen. Ich will nur da rein, meinen Bass holen und dann abhauen. Steig ein und lass den Motor laufen, damit du nicht auskühlst.«
Wieder füllten sich ihre Augen mit Tränen, und diesmal konnte sie sie nicht zurückhalten. »Ich gehe mit dir rein«, flüsterte sie eindringlich.
Er zog die Brauen hoch und presste seine aufgeplatzten Lippen aufeinander. »Vergiss es!«
»Ich …« Ihre Stimme brach. Hilflos sah sie ihn an. Er war so groß und kräftig und so … anständig. So viel anständiger als diese verdammten Mistkerle. Hätte er nur einem Gegner gegenübergestanden, wäre die Sache anders ausgegangen. Mit seinen über ein Meter neunzig war er der Größte und auch der Stärkste in seiner Klasse. Aber sie waren zu viert auf ihn losgegangen. Zu viert!Sie hattenihn zusammengeschlagen, aber