Kapitel 1
Fennhusen, Frühjahr 1930
Es regnete ohne Unterlass, aber es war ein milder Regen, der die Luft zu reinigen schien. Frederike wischte über die Scheibe und sah hinaus in die vertraute Umgebung. Die ersten Kirschblüten öffneten sich, nun da das Frühjahr endgültig den Winter verdrängt hatte.
»Wie jeht es Ihnen?«, fragte Hans leise. Der alte Kutscher war nicht mit dem Landauer zum Bahnhof gekommen, sondern mit dem Automobil.
»Ach Hans, für dich bin ich doch immer noch Freddy«, seufzte Frederike. »Das war schon immer so und wird auch so bleiben.«
Hans räusperte sich. »Nun ja, du bis awwer jetzt ’ne verheiratete Frau, Baronin von Stieglitz.«
»Ja.« Frederike senkte den Kopf. Seit neun Monaten war sie mit Ax verheiratet, und nun kehrte sie zum ersten Mal nach Fennhusen, auf das Gut ihrer Familie zurück. Ihre Gefühle waren gemischt. »Wie geht es allen?«
»Irmi und Gilusch machen sich prächtig. Und Klein Erik hat anjefangen zu reiten«, sagte Hans schmunzelnd. »Ali wird immer mehr zu ’nem Dickkopf. Mittem werden wir noch Spaß haben.«
»Das habe ich gehört.« Frederike lächelte. Trotz des großen Altersunterschieds lagen ihr die vier kleinen Geschwister aus der dritten Ehe ihrer Mutter ebenso sehr am Herzen wie ihre beiden anderen Halbgeschwister, die schon erwachsen waren und nicht mehr auf dem Gut wohnten.
»Das Irmichen is een kleener Wirbelwind, awwer reiten kannse fast so jut, wie du.« Hans klang so stolz, als ob er über seine eigene Familie sprechen würde.
Wieder schaute Frederike nach draußen. Sie hatte das Gut Fennhusen in den letzten zehn Jahren immer als ihr Zuhause, ihre Heimat betrachtet, doch das war nun vorbei. Was würde Mutter sagen? Wie würde sie sich verhalten? In den letzten Monaten hatte Frederike sich geweigert, ihre Mutter zu treffen, aber nun musste sie sich dem Gespräch mit ihr stellen.
Hans lenkte das Automobil durch die Toreinfahrt, der nasse Kies knirschte unter den Reifen. Auf den ersten Blick hatte sich nichts verändert, dort waren die Stallungen, die Häuser des Gesindes, das runde Blumenbeet vor dem Treppenaufgang, das ihre Mutter angelegt hatte. Die Nar