: Brigitte Riebe
: Wilde Engel Roman
: Gmeiner-Verlag
: 9783734992148
: 1
: CHF 5.60
:
: Krimis, Thriller, Spionage
: German
: 200
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
'Nomen est omen' - was soll schon aus drei Mädels werden, denen die Mütter ausgerechnet die Namen - männlicher! - Erzengel beschert haben? Micki, Raffa und Gabo versuchen auf höchst irdische Weise, das Beste daraus zu machen. Sie verbringen ihre Tage mit manchmal recht skurrilen Aktivitäten. Die Nächte aber gehören den 'wilden Engeln': mit Spritztouren in 'geborgten' Autos, Philosophieren auf Grabsteinen, Begegnungen mit heißen Kerlen und dem Träumen von der eigenen Band. Bis die drei Erzengelinnen wider Willen eines Nachts auf Luzy treffen, die ihnen gerade noch gefehlt hat ...

Brigitte Riebe, geboren 1953, bekannt als Autorin historischer Romane, hat unter dem Pseudonym Nina Geiger Frauenromane mit Esprit, Witz und Tiefgang verfasst, die zeigen, dass die alte Geschichte zwischen Frauen und Männern noch lange nicht auserzählt ist ... Sie lebt mit ihrem Mann in München.

Eins


Das mit den Namen war einfach Scheiße und hing ihnen am Bein wie ein extraschwerer Klotz. Ja, nicht Pech oder Mist, wie die Zarin in ihrer beschönigenden Art unter Garantie sofort korrigiert hätte, sondern schlicht und einfach Scheiße. Aber was konnte auch schon dabei herauskommen, wenn drei Erzeugerinnen im absoluten Hormontief ausgerechnet in der Raucherecke der Wöchnerinnenstation auf die Schnapsidee verfielen, ihren neugeborenen Töchtern die Namen dreier – und dazu auch noch männlicher! – Erzengel zu verpassen?

Im Nachhinein ließ sich nicht mehr exakt feststellen, wer als erste damit angefangen hatte, Ruby, Illo oder Tosca, die Zarin, wie die mittlerweile erwachsenen Töchter sie gern halb spöttisch, halb respektvoll nannten. Typischer Fall von Mythenbildung, der das eigentliche Ereignisüberhöhte und die Anfänge in gnädigem Dunkel verschwimmen ließ. Außerdem gab es drei Dutzend verschiedener Versionen. Mindestens. Ziemlich praktisch, nachdem eine der Zeuginnen nicht mehr am Leben war und von der zweiten aufgrund bedauerlicher Umstände schon längst keine brauchbaren Aussagen zum Tatbestand zu erwarten waren.

Die einzige, die zu diesem Sachverhalt noch vernehmbar gewesen wäre, war Tosca Wunder. Und die log bekanntlich, sobald sie den Mund auftat. Zudem machte sie ihre Tochter traurig. Mit Methode. An manchen Tagen sogar ganz besonders.

Heute war eindeutig ein solcher Tag.

Raffa sah es sofort, als sie die Tür zu Mickis Laden aufstieß. Es hatte genieselt, den ganzen Montagvormittag schon, und ihr ausrangierter Bundeswehrparka war mit Wasser vollgesogen. Rostrote Haare standen von einem schmalen Kopf ab wie elektrisierter Kupferdraht; auf langen Beinen strebte sie in denüberweiten Schlosserhosen zielstrebig auf die Theke zu. Eigentlich war Raffa immer irgendwie in Bewegung, jetzt aber brauchte sie unbedingt Wärme, ein paar Augenblicke Ruhe, vor allem jedoch die heiße Schokolade mit einem extra großzügigen Schuss Rum, die niemand auf der Welt so köstlich zubereiten konnte wie ihre beste Freundin, wenn sie in der rechten Stimmung dazu war. Von den legendären Schaumrollen der Bäckerei gegenüber ganz zu schweigen, zu denen Micki sich manchmal hinreißen ließ.

Der erste Blick der Freundin allerdings hatte bereits Gefahr in Verzug signalisiert. Der zweite tat es nicht minder. Da waren sie, diese untrüglichen Anzeichen! Raphaela Köttenhuber machte sich nichts aus Klamotten und war meist froh, wenn sie in ihrem Chaosüberhaupt etwas Frisches zum Anziehen entdeckte, das zudem auch noch den Anforderungen der jeweils herrschenden Witterung genügte.

Anders Micki. Durchaus eitel, hatte sie sich in puncto weiblicher Optik als Versagerin gefühlt, seitdem sie denken konnte. Und wie die meistenübergewichtigen Menschen stellte sie schon lange keine großen Erwartungen mehr an ihr Aussehen. Heute versteckte sie sich wieder in diesem scheußlichen kackbraunen Sackkleid, das die blonden Haare aschig aussehen ließ und ihrer frischen Haut einen ungesunden Grünstich verlieh. Sie war in einer großen Blechschachtel am Kramen, die Gummiringe und alte Wundertüten enthielt, und hatte das traurige Kindergesicht mit den trüben Augen, dem bitteren Mund und der geschwollenen Nase aufgesetzt, das bereits die Fotos zu ihrem dritten Geburtstag dokumentierten.

»Nicht gerade das, was man einen Höllenandrang nennen würde, was?« Raffa machte eine weite Geste und schniefte ungeniert, natürlich wie immer ohne Taschentuch.

»Kann man wohl sagen. Meine letzte ernsthafte Kundin war Freitagvormittag da. Und weißt du, was sie gekauft hat? Zwei Schnittbögen für Kinder-Teddymäntel zum stolzen Preis von Vierfuffzig. Wenn das so weitergeht, sollte ich lieber heute als morgen zumachen.«

»Genau«, erwiderte Raffa, die diese Idee schon länger umwerfend fand, aber null Bock hatte, sich ständig zu wiederholen.»Aber wenigstens bist du hier in deinem Spinnwebparadies trocken und entspannt. Ich dagegen strampele mir schon seit sieben Uhr früh die Beine aus dem Leib. Einem mittlerweile sehr feuchten Leib, um präzise zu sein. Keine Angst, ich fang’ nicht zu jammern an, ich doch nicht! Kennst mich doch, oder? Allerdings kann ich ohne größere Anstrengung buchstäblich fühlen, wie meine Eierstöcke zu schimmeln beginnen. Scheißgefühl, kann ich dir verraten. Echtätzend.«

Sie liebte raue Sprüche, je drastischer, desto besser. Manchmal träumte sie von einer eigenen Radiosendung, in die sie selbstredend nur Leute einladen würde, die kein Blatt vor den Mund nahmen. Reine Illusion natürlich, wie sie in realistischeren Augenblicken wusste, und nichts weiter. Beruflich kam sie trotz unzähliger Ideen einfach nicht richtig in Gang, was ihr mal weniger, mal mehr zu schaffen machte. Ihr aktueller Job als Fahrradbotin war der x-te in