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Durch das offene Fenster hörte sie ein paar aufgeregte Möwen kreischen, die Sonne war gerade aufgegangen. Romy war seit wenigen Minuten wach. Jan schnarchte leise. Einen Moment betrachtete sie sein entspanntes Gesicht und das eigenwillige Kinn und strich ihm über die Wange. Seit mehr als zwei Wochen verheiratet, und es fühlt sich immer noch richtig gut an, dachte sie und lächelte. Sie schob die Bettdecke zurück und stand auf. Sie zog sich an, trank ein Glas Saft und machte sich auf den Weg zum Strand. Um sechs Uhr früh hatte sie ihn fast für sich alleine, zumindest im Mai, außerhalb der Ferienzeit. Ein Jogger lief Richtung Thiessow, zwei Fischerboote schaukelten bei minimalem Wellengang behäbig die Küste hinauf. Sie versank einen langen Moment in der Betrachtung des Morgenhimmels und lief dann am Strand entlang, jeden Schritt auskostend.
Ihre Hochzeitsreise hatte sie quer durch Italien bis runter nach Sizilien geführt, und es war wunderschön gewesen, keine Frage. Das Aber, das mitschwang, war immer das gleiche – es war nicht Rügen. Ende. Sie wollte gerade ihre Schuhe ausziehen und weiter durchs Wasser waten, als ihr Smartphone vibrierte. Fines Konterfei strahlte ihr vom Display entgegen. Die gute Seele des Innendienstes kümmerte sich seit dreißig Jahren auf ihre ganz eigene forsche Art um die Geschicke im Bergener Kriminalkommissariat. Mit ihr war nicht gut Kirschen essen, ihre dröhnende Stimme war legendär, und wen sie mochte, durfte sich glücklich schätzen. Wer sich ihren Missmut zuzog, dem standen schwere Zeiten bevor, von dauerhafter Antipathie einmal ganz zu schweigen.
Ein Anruf um diese Zeit war kein gutes Zeichen. Romy stellte die Verbindung her. »Moin. Habe ich dich geweckt?«
»Nein. Ich bin am Strand unterwegs und …«
»Gut. Ich schätze, du kannst dein Touri-Programm beenden und dir den Sand aus den Zehen pulen. Wir haben eine Leiche – oben in Wittow. Ich informiere gleich noch die anderen. Deinen Mann musst du schon selbst aus dem Bett schmeißen.«
»Okay, das kriege ich hin, ich …«
»Bis dann.«
»Warte, Fine! Wie wäre es mit ein paar Stichworten?«
»Ach ja, hätte ich fast vergessen. Torsten Fischer, fünfundfünfzig. Wurde erhängt im Stall gefunden. Sieht nach Suizid aus, aber genauer anschauen solltet ihr es euch trotzdem. Alles Weitere haben die Kollegen aus Altenkirchen dann für euch, und Buhl dürfte auch schon unterwegs sein.«
Kriminaltechniker Marco Buhl war der Leiter der Kriminaltechnik; Romy konnte sich an keinen Fall erinnern, dessen Lösung sie nicht auch seiner zuverlässigen und gründlichen Arbeitsweise verdankten. »Gut. Ich beeile mich.«
Als sie zu Hause eintraf, war Jan gerade aufgestanden und kochte Kaffee. Abgesehen von knapp sitzenden schwarzen Shorts, in denen er eine ausgesprochen gute Figur machte, trug er nichts. Er sah sie an, lächelte und runzelte dann die Stirn. »Arbeit?«
»Ja. Fine hat gerade angerufen. Könnte sich um einen Suizid handeln, oben in Wittow.«
Er sah auf die Uhr. Romy wusste, dass er dringend in der Polizeiinspektion Stralsund erwartet wurde.
»Ich denke, ich kann mir das zunächst mal alleine ansehen.«
»Okay. Zeit für ein kleines Frühstück?«
»Ich fürchte, nicht.« Sie trat näher, kü