Der Höllenschlund
An einem Novembertag ritt Wildhüter Creel Zmundzinski von der Jagd- und Fischereiaufsicht Wyoming im dichter werdenden Licht des Spätnachmittags den Pinchbutt-Abflußgraben hinunter. Die letzten Fetzen Sonnenlicht besprenkelten seinen roten Backenbart mit feurigen Spritzern. Das Gelände war abschüssig, mit Drehkiefern bestanden, weiter unten von Beifuß abgelöst und vereinzelten Wiesen, die Wapitis im Winter auf ihrer Wanderschaft nach Südosten gern aufsuchten. Ab und zu, wenn der Blick nicht verstellt war, sah er auf dem Kies der Wendestelle unten in der Ferne seinen Geländewagen samt Pferdeanhänger glitzern. Er ritt ganz langsam, sang das Lied vom großen Joe Bob,»Stolz des hinteren Felds, Held seiner Tage«, während vor ihm derÜbeltäter ohne Jagdschein ging, den Creel beim Verscharren der Eingeweide einer Elchkuhüberrascht hatte. Die Hinterschenkel hatte der Mann in seinen ATV-Geländewagen geladen, den Rest des Kadavers der Verwesungüberlassen.
»Das hier ist ein geschütztes Gebiet, in dem nicht gejagt werden darf«, sagte Creel.»Zeigen Sie mir Ihren Jagdschein.«
Der rotgesichtige alte Knabe betatschte die zahlreichen Taschen seiner Jagdjacke. Die Jacke war neu, am hinteren Saum steckte noch das Preisschild. Das Aufblitzen des Preisschilds war Creel durch die Bäume aufgefallen. Jetzt förderte der Mann seine Brieftasche zutage und suchte darin.
Während er wartete, lauschte Creel Zmundzinski auf einen Ton, den er nicht hören wollte.
Nach langem Suchen reichte der Mann Creel ein Papprechteck. Es war eine Visitenkarte, die neben Telefonnummern und einer immens verkleinerten Abbildung der Kathedrale von Chartres folgende Worte aufwies:
EHRWÜRDEN JEFFORD J. PECKER
GEISTLICHER ZU PERSIA
»Persia, wo ist das?« fragte Creel, der an den Iran dachte, da ihm die Vorwahl 323 nicht vertraut war. Er hatte den Eindruck, als höre er das gefürchtete Geräusch aus der Ferne.
»Pör-si-öh, Kalifornien«, sagte der Geistliche laut und nasal, um Creels Aussprache zu korrigieren.
»Ist das Ihre Kirche?« fragte Creel, der die Abbildung betrachtete. Tatsächlich, von dem Weidengehölz unten am Grund der Wiese hörte er das jammervolle Blöken eines verwaisten Elchkalbs.
»Sie sieht ganzähnlich aus.«
»Aber einen Jagdschein kriegt man dadurch noch lange nicht.« Sein Ton war jetzt sehr kühl. Was der Geistliche nicht wissen konnte, war, daß er dem einen unter dreiundfünfzig Wildhütern in Wyomingüber den Weg gelaufen war, der nichts mehr verabscheute als Elchkuhmörder, weil sie verwaiste Kälber dem Schicksalüberließen, sich in einer Welt voller Raubtiere und unbarmherziger Witterung allein zurechtzufinden. Creel Zmundzinski war nämlich selbst Waise und hatte nach dem Tod seiner Eltern bei Tante und Onkel auf deren Ranch in Encampment gelebt. Doch Schuleschwänzen, schlechter Umgang und zu guter Letzt Einbruchdiebstahl hatten ihn in das Jugendheim St. Francis gebracht. Zornbebend ob der Ungerechtigkeit des Lebens und voller Selbstmitleid sorgte er bei j