: Hans Fallada
: Hans Fallada - Gesamtausgabe (36 Werke)
: epubli
: 9783754943519
: 2
: CHF 1.60
:
: Anthologien
: German
: 100
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Sammelband mit 36 Werken · Der junge Goedeschal · Anton und Gerda · Im Blinzeln der großen Katze · Bauern, Bonzen und Bomben · Kleiner Mann - was nun? · Wer einmal aus dem Blechnapf frißt · Wir hatten mal ein Kind · Wizzel Kien · Märchen vom Stadtschreiber, der aufs Land flog · Altes Herz geht auf die Reise · Der eiserne Gustav · Wolf unter Wölfen · Ein Mann will nach oben · Der Jungherr von Strammin · Kleiner Mann, großer Mann - alles vertauscht · Der ungeliebte Mann · Der Trinker · Jeder stirbt für sich allein · Der Alpdruck · Die große Liebe · Der Apparat der Liebe · Dies Herz, das dir gehört · Die Stunde, eh' du schlafen gehst · Zwei zarte Lämmchen weiß wie Schnee · Das Abenteuer des Werner Quabs · Pechvogel und Glückskind · Süßmilch spricht · Fridolin der freche Dachs · Geschichten aus der Murkelei · Damals bei uns daheim · Heute bei uns zu Haus · Gefängnistagebuch 1924 · Gefängnistagebuch 1944 · Geschichten und Geschichtchen · Weihnachtliche Geschichten · Geschichten aus dem Nachlaß

Hans Fallada (Rudolf Ditzen) lebte von 1893 bis 1947 und war ein deutscher Schriftsteller.

5

Gleich am Eingang des Saals verlor Kai seine Freunde. Zu spät gekommen, hatten sie ihn sofort verlassen, um ihre Damen zu suchen. An eine Säule gelehnt sah Kai ihnen nach, verlor sie aus den Augen und nun war nichts mehr da als die flatternden weißen und bunten Mullkleider der Mädchen. Eben begann der Klavierspieler einen Walzer, und wie sie dort am Arme ihrer Tänzer dahinflogen, schienen sie Kai fremde, rätselhafte Blumen, denen er nie nahkommen würde. Vergebens suchte er ihre Gesichter zu erraten, diese Gesichter aus Weiß, Rosa und Rot mit den immer anderen Strichen der Augenbrauen, er kam ihnen nicht näher. Sie schienen einer fremden Gattung anzugehören, die Nase schloß wie ein aufgesetztes Gewicht nicht zu entdeckende Heimlichkeiten in die Rundung des Kopfes ein. Kai fragte sich, ob auch diese wirklich »Menschen« seien, und irgendwie unruhig und bedrückt entschied er, daß sie in nichts den Bekannten und Freunden gleichgestellt werden könnten, sondern unverwandt wie Tiere oder Bäume seinen Blicken die undurchdringliche Starrheit ihres Andersseins entgegenhielten.

Er seufzte, abwehrend tasteten seine Hände zur Höhe des Gesichtes empor, fielen herab, aber diese Bewegung schon brachte ihm Erleichterung, und nun suchte er Näheres unter den Tanzenden und fand Klotzsch. War das Ilse? Nein, sie war es nicht, irgendjemand anderes, etwas Stummes, das nicht zu ihm sprach mit einem matten Profil und einem seltsam unbewußten Schwingen der Hüften. Werner lächelte, lachte, redete, er gehörte dieser Stunde ganz, das Morgen dämmerte noch nicht auf und das Soeben war abgetan. Kai drängte es, als müßte er sich von seiner Säule fortheben und zu Klotzsch tretend ihm alles sagen, alles, alle Demütigungen, die gewesen waren, die kommen würden.

»Wie sie schwatzen und lachen! Sie wissen nicht mehr, daß ein Morgen da ist und vor dem Morgen eine Nacht, wach im Bett, zu heiß, zu heiß, trübe, gepeinigt, voll Scham. Was haben sie zu reden? Was ist da, worüber man lachend reden kann? Haben sie vergessen, daß es draußen friert, dunkel, grauenhaft, einsam ist?«

Ja, es gab Straßen, angefüllt mit Menschen, aber ihre Bewegungen waren fremder als die Äste der Bäume, und wenn sie lachten, klang es, daß man die Ohren verschließen, die Augen zupressen mußte, um nicht zu weinen. Das war es. Man mußte sie hassen, um ihrer Gedankenlosigkeit willen sie hassen, die so laut und fröhlich sein konnten. »Tiere! Tiere!«

»Dort, Arne! Sieh da, seine Dame! Sicher ist das Fräulein Reiser, bestimmt. O, sie plaudern. Wie ruhig, wie verbindlich, wie erhaben lächelnd! Arne, du, wie kannst du so lächeln! Du dort oben und ich. Ach, auch er ist mir weggenommen, ich stehe hier allein an meiner Säule. Ich will ihnen nachsehen, ihn immer ansehen, er soll mich nicht vergessen, soll zu mir herüberschauen. Ich will es. Ich will es. Vorbei. Gleich kommt er wieder. Ich will es. Nein, auch dieses Mal nichts, ihr seid alle fort, alle fort. Soll ich gehen, soll ich kehrtmachen und gehen? Ich hasse euch! Hasse euch alle! Wie die Mütter schwatzen! Was stecken sie die Köpfe zusammen und machen sich über die Ungeschickten lustig! Ich hasse euch alle, alle! Ich möchte ausspucken vor euch.«

Kai drehte sich um und trat hinter die Säule. Ein großer Spiegel warf ihm mit der Geste eines überlegenen Taschenspielers sein Bild entgegen. Er blieb stehen. Ja, er war ordentlich angezogen, nur der Schlips saß