Main Data
Author: Geraldine Brooks
Title: Das Gemälde Roman
Publisher: btb
ISBN/ISSN: 9783641297800
Edition: 1
Price: CHF 16.70
Publication date: 11/15/2023
Content
Category: Narrative literature
Language: German
Technical Data
Pages: 576
Copy protection: Wasserzeichen
Devices: PC/MAC/eReader/Tablet
Formate: ePUB
Table of contents
Der New-York-Times-Bestseller - von der Pulitzerpreisträgerin und Autorin des Welterfolgs »Das Pesttuch«
Washington, D.C., 2019:Jess, eine junge australische Wissenschaftlerin, und Theo, ein nigerianisch-amerikanischer Kunsthistoriker, finden sich durch ihr gemeinsames Interesse an einem Pferd unerwartet verbunden. Jess untersucht die Knochen des Hengstes nach Hinweisen auf seine Kraft und Ausdauer - Theo will die verlorene Geschichte des unbekannten schwarzen Trainers aufdecken, der für seinen Rennerfolg entscheidend war.

New York City, 1954:Martha Jackson, eine Galeristin, die für ihr Gespür bekannt ist, entdeckt ein Ölgemälde eines Pferdes aus dem 19. Jahrhundert von unbekannter Herkunft.

Kentucky, 1850:Ein versklavter Junge namens Jarret und ein braunes Fohlen schmieden ein Band der Verständigung, das das Pferd zu Rekordsiegen im Süden Amerikas führen wird. Als der Bürgerkrieg ausbricht, wird auch ein junger Künstler, der sich mit Gemälden des Rennpferdes einen Namen gemacht hat, zu den Waffen gerufen. In einer gefährlichen Nacht trifft er auf den Hengst und seinen Reiter Jarret, weit entfernt vom ehemaligen Glanz der Rennstrecke.

Basierend auf der wahren Geschichtedes siegreichen Rennpferds Lexington ist »Das Gemälde« ein Roman über Kunst und Wissenschaft, Liebe und Besessenheit und unsere offene Rechnung mit alltäglichem Rassismus.

Geraldine Brooks wurde 1955 in Sydney geboren und bereiste elf Jahre lang als Auslandskorrespondentin des Wall Street Journal die Welt. 2006 erhielt sie für ihren Debütroman 'Auf freiem Feld' den Pulitzerpreis. 'Das Pesttuch' avancierte zum internationalen Bestseller und wurde in 25 Sprachen übersetzt. Ihre Bücher sind allesamtNew-York-Times Bestseller. Geraldine Brooks lebt auf Martha's Vineyard, Massachusetts.

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JESS


Smithsonian Museum Support Center, Maryland


2019

Jess war sieben gewesen, als sie den Hund ausgebuddelt hatte. Damals war er ein Jahr tot. Sie und ihre Mum hatten ihn mit einer kleinen Trauerfeier unter dem blühenden roten Eukalyptus im Garten begraben, und sie hatten beide geweint.

Ihre Mutter hätte am liebsten wieder geweint, als Jess sie für die Knochen, die sie gerade exhumiert hatte, um mehrere große Tupperdosen bat. Im Allgemeinen hätte Jess’ Mutter ihrer Tochter sogar erlaubt, das Haus in Brand zu setzen, solange sie dabei etwas über das Verhältnis zwischen Kohlendioxid und Sauerstoff lernen konnte. Doch in diesem Fall spielte Angst eine Rolle: War das Ausgraben eines verstorbenen Haustieres und das Zerteilen seines Körpers ein Zeichen dafür, dass die Kleine psychopathische Neigungen hatte?

Jess tat ihr Bestes, um ihrer Mutter klarzumachen, dass sie Milo ausbuddeln wollte,weil sie ihn liebte und weil sie deshalb sehen musste, in welchem Zustand sein Skelett war. Schön würde es aussehen, das wusste sie: der Schwung des Brustkorbs, die Rundung der Augenhöhlen …

Jess liebte die Innenarchitektur von Lebewesen. Rippen, ihr schützender Radius, und wie sie empfindliche Organe ein ganzes Leben lang mit ihrer Umarmung behüteten. Oder Augenhöhlen: Kein Handwerker hatte jemals ein eleganteres Behältnis für ein so kostbares Objekt wie das Auge erschaffen. Milos Augen hatten die Farbe von Rauchquarz gehabt. Wenn Jess mit dem Finger über die kleinen Einbuchtungen rechts und links seines zarten Schädels fuhr, konnte sie seine Augen wieder sehen: den liebevollen Blick ihres allerersten Freundes, der es nicht erwarten konnte, mit ihr zu spielen.

Sie war in einer der belebten Straßen von Sydney mit Bungalows aus rötlichem Backstein aufgewachsen, die sich beim ersten Wachstumsschub der Stadt im ersten Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhunderts nach Westen ausgedehnt hatten. Hätte sie irgendwo auf dem Land gelebt, so hätte ihre Faszination vermutlich überfahrenen Kängurus, Wombats oder Wallabys gegolten. Doch als Großstadtkind aus Sydney freute sie sich schon über eine tote Maus oder vielleicht einen Vogel, der gegen ein Glasfenster geflogen war. Bislang war ihr bestes Versuchstier ein Flughund gewesen, der einen Stromschlag erlitten hatte und verendet war. Sie hatte ihn auf dem bewachsenen Streifen unter der Starkstromleitung gefunden und eine ganze Woche damit verbracht, ihn auseinanderzunehmen: die papierartige Membran seines Flügels, die sich vor ihr auffächerte wie der gefaltete Balg eines Akkordeons. Die Mittelfußknochen, wie menschliche Knochen, nur leichter – Knochen, die nicht zum Greifen und Halten gedacht waren, sondern um sich durch die Luft zu schwingen. Als sie fertig war, hatte sie den Flughund an die Lampenhalterung unter ihrer Schlafzimmerdecke gehängt. Dort, sauber von allem befreit, was verwesen konnte, sah sie ihn, wie er für immer durch endlose Nächte flog.

Im Laufe der Zeit war ihr Zimmer zu einer Art Naturgeschichtemuseum in Miniaturform geworden und hatte sich mit Skeletten von Eidechsen, Mäusen und Vögeln gefüllt, die auf Sockeln aus ausgedienten Garnspulen oder Fadenröllchen steckten und mit sorgfältig in Tinte geschriebenen lateinischen Namen versehen waren. Bei der Schar halbwüchsiger Mädchen, die mit ihr auf die Highschool gingen, machte sie das nicht allzu beliebt. Die meisten ihrer Klassenkameradinnen fanden ihre Besessenheit von nekrotischer Materie abstoßend und unheimlich. Sie wurde zu einem einzelgängerischen Teenager, was vielleicht zu ihrem hervorragenden Abschneiden in drei Fächern bei den bundesstaatlichen Abschlussprüfungen beitrug. Auch während des Studiums tat sie sich hervor und war schließlich mit einem Stipendium nach Washington gekommen, um ihren Master in Zoologie zu machen.

Das war etwas, das Australier gern taten: ein oder zwei Jahre im Ausland studieren, um sich den Rest der Welt anzuschauen. In ihrem ersten Semester hatte das Smithsonian sie als Aushilfskraft angestellt. Als man dort erfuhr, dass sie bereits mit dem Säubern von Knochen vertraut war, schickte man sie

 
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