Kapitel 1
Als die Nonne anrief, tranken wir gerade in der Küche Champagner. Ich lasse den Augenblick noch einmal Revue passieren. Was wäre geschehen, wenn ich nicht beschlossen hätte, eine Feier zu veranstalten? Was, wenn wir einfach die Haustür hinter uns zugesperrt und anderswo etwas getrunken hätten? Oder der Umzug eine Woche früher stattgefunden hätte? Wäre mein Leben in den sicheren, vertrauten Bahnen weiter verlaufen?
Vielleicht. Doch sie war eine willensstarke Frau. Sie hätte die neue Adresse und Telefonnummer herausgefunden. Schließlich zogen wir ja nur auf die andere Themseseite. Und wir stehen im Telefonbuch.
Oder sie hätte eine Nachricht hinterlassen. Und ich hätte zurückgerufen. Denn meine schlummernde Neugierde brauchte nur eine Ausrede. Eines Tages hätte ich denselben Weg in die Vergangenheit genommen. Sie trifft also keine Schuld.
Im Geist begebe ich mich an den Tag des Anrufs zurück. Es war unser vorletzter Tag im alten Haus. Ich stand früh auf und bereitete eine Lammkasserolle zu. Um acht Uhr brachte ich Jack eine Tasse Kaffee und zog die Schlafzimmervorhänge auf.
»Der Wind hat die Stangenbohnen runtergeweht. Was für ein trostloser Anblick!«
»Der Sommer endet immer mit einem Sturm«, erwiderte er. »Der September ist schon halb vorbei, Lena.«
Er beugte seinen blonden Kopf über die Tasse und atmete den Kaffeeduft ein, ehe er trank.
»Du verwöhnst mich«, sagte er.
»Das mach ich doch gern.«
»Macht’s dir was aus, dass ich wegfahre?«
Eine Amsel flog von den Bohnentrümmern auf und ließ sich auf der Gartenmauer nieder.
Ich drehte mich lächelnd zu ihm um. »Ich habe alles im Griff!«
Ich hatte den Umzugsablauf auf einem Gliederungsbogen geplant und diesen in die Diele gepinnt. Nachdem Jack ins Büro aufgebrochen war, trafen Alma und zwei meiner Nachbarinnen ein und halfen mir beim Packen. Wir bewegten uns methodisch von Raum zu Raum, sortierten, packten und versahen Möbel und Umzugskartons mit entsprechenden farbigen Etiketten.
Kurz vor fünf band ich ein rosafarbenes Etikett an einen Karton mit Kochbüchern. Dann holte ich eine Flasche Champagner aus dem Kühlschrank und rief: »Das war der letzte Karton! Zeit zum Feiern!«
Alma hatte Geburtstag, und ich hatte ihr einen Kuchen gebacken. Er stand auf der Frühstückstheke, die den Wohnbereich von der Küche trennte. Einen Biskuitkuchen. Mit Sahne und selbst gemachter Himbeermarmelade in der Mitte. Und weicher, weißer Zuckergussglasur obendrauf. Die rosa Minikerzen passten zu den Etiketten überall im Raum.
»Wie wär’s mit etwas Musik?«, erkundigte sich Alma. »Irgendeine Oper? Unsere Lieblingssängerin vielleicht?«
Rosemary und Janet klatschten. Ich verneigte mich angesichts der Wertschätzung, die meiner Tochter entgegengebracht wurde, und steckteMary Molloy singt Mozart und Rossini in den CD-Player. Es war ihre erste Aufnahme und ist nach wie vor meine Lieblings-CD.
Marys Stimme erfüllte den leeren Raum bis unters Dach.
»Sagt, ist es Liebe, was hier so brennt?«
Ihre gesamte Persönlichkeit steckt in dieser funkelnden Verbindung aus Musik und Worten. Entzücken und Verwunderung, auf vollkommene Weise vermittelt. Wir hatten die Teppiche zusammengerollt, Parkett und bloße Dielen hinterlassen. Nichts schwächte den Ton ab.
»Sagt, ist es Liebe, was hier so brennt?«, wiederholte Mary.
»Kommt einem ja so vor, als würde man in einem riesigen Lautsprecher stecken«, meinte Alma.
Berauscht von der Musik, saßen wir an dem langen Eichentisch und tranken Champagner. Der Himmel klarte auf. Sonnenschein strömte in den Raum. Mary begann die Cavatina vonDer Barbier von Sevilla. Ich aalte mich in der Vorstellung, wie gut ich alles hinbekommen hatte.
»Una voce poco fa, Qu’ nel cor m’risuonò.«
Ich blickte zum strahlenden Himmel und dachte an Mary, die inzwischen von Stuttgart unterwegs nach Heathrow war. In den unschuldigen Minuten vor dem Klingeln des Telefons saß ich von der Septembersonne beschienen, umgeben von Freundinnen, in einem Haus, das ich liebte, und lauschte zutiefst zufrieden dem Ge