Anna Barwig brauchte sich nicht lange zu fragen, was sie mitten in der Nacht geweckt hatte. Es war wieder ihr Herz, das stolperte und raste.
Sie legte sich auf den Rücken, streckte die Beine aus und bemühte sich, ruhig und gleichmäßig zu atmen. Doch die aufsteigende Angst machte es ihr schwer. Sie spürte, wie ein Zittern ihren ganzen Körper befiel und sich Schweißperlen auf ihrer Stirn bildeten.
Entspann dich! Die Angst macht alles nur noch schlimmer!
Sie lockerte die Hände, die sie zu Fäusten geballt hatte, und versuchte, an schöne Dinge zu denken. Doch es half alles nichts. Die schlimmen Herzrhythmusstörungen hörten nicht auf.
Panik überkam sie. Anna knipste die Nachttischlampe an und setzte sich auf. Langsam schob sie die Beine aus dem Bett. Sie musste jede schnelle Bewegung vermeiden, sonst würde ihr Herz nur umso mehr rasen.
Sie holte tief Luft. Warum regte sie sich eigentlich immer noch darüber auf? Sie wusste doch, was mit ihrem Herzen los war. Schließlich litt sie seit über zehn Jahren an diesem Problem. Trotzdem bekam sie es jedes Mal mit der Angst zu tun.
Anna tastete nach ihren Tabletten, doch sie waren nicht da. Auch die Wasserflasche stand nicht auf ihrem Nachttisch wie sonst. Sie hatte gestern Abend vergessen, beides bereitzustellen, bevor sie ins Bett gegangen war.
Sie zwang sich zur Ruhe und machte die Atemübungen und Fingerdruckmassagen, die sie gelernt hatte. Alles war vergeblich. Ihr Herz raste weiter. Anna wusste, dass ihre Pulsrate wieder bei zweihundert lag, eine beängstigende Situation. Dr. Keller, die Oberärztin auf der Inneren Station des Elisabeth-Krankenhauses, bei der sie in Behandlung war, hatte ihr empfohlen, in einem solchen Fall eine zusätzliche Tablette zu nehmen.
Anna ging ins Bad. Nachdem sie eine Tablette eingenommen hatte, wanderte sie in ihrer winzigen Mansardenwohnung umher. Fröstelnd rieb sie sich über die Arme. Es war kalt geworden, doch sie wollte den Ofen nicht aufdrehen. Heizöl war teuer geworden in diesen Tagen, und sie musste jeden Cent sparen, wenn sie jemals wieder in ihrem Elternhaus wohnen wollte.
Schließlich kehrte sie ins Bett zurück. Ihr Herz stolperte immer noch, doch so nach und nach legte sich das Rasen. Wenn nur jemand bei ihr wäre …
Anna fiel das Alleinsein immer schwerer. Früher war in so einem Fall ihre Mutter zu ihr gekommen, denn ihre Schlafzimmertür hatte immer offen gestanden, und Anna hatte nur zu rufen brauchen. Ihre Mutter hatte sich zu ihr ans Bett gesetzt und ihr beruhigend die Hand auf die Brust gelegt, das hatte immer gut geholfen.
Anna wurde die Kehle eng. Plötzlich musste sie wieder weinen. Ach, Mama …
Auch ihr Papa war nicht mehr da. Ihre Eltern waren beide bei einem Busunglück in Spanien ums Leben gekommen. Anna war gerade neunzehn gewesen und hatte ihre Ausbildung zur Floristin beendet. Sie hatte die Eltern zu dieser Urlaubsreise überredet, denn sie hatten Anna jahrelang behütet und umsorgt und sich nichts gegönnt. Nun sollten sie zum ersten Mal nach langer Zeit wieder Url