: Max Bentow
: Der Mondscheinmann Psychothriller
: Goldmann
: 9783641258375
: Ein Fall für Nils Trojan
: 1
: CHF 8.00
:
: Krimis, Thriller, Spionage
: German
: 416
: DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Lilienblüten auf dem Boden, Kerzen brennen und erhellen die Umrisse einer toten Frau, geschminkt und frisiert. Das Einzige, was die perfekte Inszenierung stört, sind die vielen Schnecken, die leise über das morbide Stillleben gleiten. Dies ist das Bild, das sich Kommissar Nils Trojan und seinem Team bietet, als sie in einer Berliner Wohnung eintreffen. Wenig später wird ein zweites Opfer im Wald aufgefunden, und wieder ist der Tatort inszeniert wie ein Andachtsraum. Trojan stürzt sich in die Ermittlungen und merkt zu spät, dass sein Gegner ein Spiel mit ihm spielt - ein Spiel, das so sanft wie eine Klaviersonate beginnt und mit dem sicheren Tod endet ...

Max Bentow wurde in Berlin geboren. Nach seinem Schauspielstudium war er an verschiedenen Bühnen tätig. Für seine Arbeit als Dramatiker wurde er mit zahlreichen renommierten Preisen ausgezeichnet. Seit seinem Debütroman »Der Federmann« hat sich Max Bentow als einer der erfolgreichsten deutschen Thrillerautoren etabliert, alle seine Bücher waren große SPIEGEL-Bestsellererfolge.

EINS


DIENSTAG, 11. JUNI, WEIT NACH MITTERNACHT


Ihre Lippen näherten sich dem Mikrofon. Sie sprach leise, leicht verhaucht. Sie wusste, ihre Stimme hatte so ein angenehmes Raspeln, das an den Genuss von filterlosen Zigaretten und reichlich gutem Single Malt Whisky erinnerte. Dabei trank sie wenig Alkohol und war überzeugte Nichtraucherin. Ihre Hörer liebten diese Stimme, und Nora Sand gab ihnen, was sie von ihr erwarteten, wochentags von null bis zwei Uhr früh. Das war ihr Job, und den machte sie gut.

Ihre Gesprächssendung empfing man im Internet, sie hatte den unverblümten TitelSchlaflos mit Nora. Auch zu dieser nächtlichen Stunde war sie mit ihrem Aufnahmeleiter im Studio, spielte Smooth Jazz ein und gab ihren Anrufern gut gemeinte Ratschläge für alle Lebenslagen. Ihre Hauptaufgabe aber bestand darin, einfach zuzuhören, denn das schienen die meisten Menschen verlernt zu haben.

Es war erstaunlich, wie viele einsame Seelen es in dieser Stadt gab. Sie lagen nachts wach, lauschten ihrer Sendung, griffen irgendwann zum Telefon, wählten die Hotline und erzählten ihr von ihren intimsten Problemen. Nora Sand wusste, dass sie der Ersatz für wahre menschliche Beziehungen war. Die Mehrzahl der Hörer sah in ihr eine Art beste Freundin, die es in Wahrheit nicht gab. Für Wildfremde schlüpfte sie in diese Rolle und war selbst überrascht von den guten Einschaltquoten.

Nora bildete sich wenig darauf ein, sie war bloß eine junge Frau mit einem abgebrochenen Psychologiestudium, die mehr oder minder durch Zufall über eine frühere Mitbewohnerin zum Internetradio gefunden hatte.

»Hi, ihr da draußen«, raunte sie ins Mikro, »es ist ein Uhr zweiunddreißig, und ein Blick aus dem Studiofenster verrät mir, dass es noch immer in Strömen regnet. Werdet ihr auch so melancholisch wie ich in einer Juninacht wie dieser? Für die Jahreszeit zu kühl, der Regen trommelt aufs Fensterbrett und verwischt das Licht der Straßenlaternen. Habt ihr es wenigstens schön warm, wo immer ihr gerade seid? Eingekuschelt unter eurer Lieblingsdecke auf dem Sofa? Seid ihr schon im Bett, habt die Nachttischlampe ausgeknipst, aber lauscht noch diesem Programm? Oder seid ihr draußen unterwegs und empfangt mich auf dem Smartphone, die Ohrhörer eingestöpselt? Vielleicht wartet ihr auf die letzte U-Bahn, seid im Nachtbus oder im Auto. Wo auch immer, ruft mich an, wenn euch irgendetwas auf dem Herzen liegt. Was raubt euch zurzeit den Schlaf? Habt ihr Stress in der Arbeit? Plagt euch Liebeskummer? Gibt es Ärger in eurer Beziehung, oder sind es Probleme mit Drogen? Sorgt ihr euch um eure Gesundheit?