But I thought in spite of dreams / You’d be sitting somewhere here with me
Being Boring, Pet Shop Boys
Danach
Heute Nacht warst du wieder am Leben.
Das plötzlich eingekehrte Bewusstsein schreckt mich auf, und still liege ich im Dunkeln, während mein Gehirn versucht, die Wirklichkeit wieder zusammenzusetzen. Es war kein Albtraum – auch die habe ich zur Genüge –, es war einfach nur eine andere Welt, ganz genau wie diese hier, mit einem entscheidenden Unterschied: Du warst da. Und ich hielt deine Anwesenheit für selbstverständlich.
Wir waren dabei, einen Skiurlaub zu planen, vergnügt saßen wir an einem Schreibpult am Rande einer viel befahrenen Schnellstraße. Die vorbeidonnernden Autos brachten den Tisch zum Beben, doch wir ließen uns davon nicht stören.Was hältst du von der Schweiz?, fragtest du. Wir hatten Pläne.
Ich stelle mir vor, dass wir uns Nachrichten schreiben, dass ich dir am Morgen davon erzähle, um dich auf deiner Fahrt ins Büro zu unterhalten. Deine Antworten kamen immer innerhalb von Minuten.
Ha, du würdest doch nie und nimmer zum Skifahren gehen, Eve. »Warum sollte ich freiwillig irgendwohin reisen, wo es sehr kalt ist, Sport treiben und das Ganze dann ›Urlaub‹ nennen? Wer ist so doof, sich an einen steilen vereisten Abhang zu stellen und zu denken, jetzt ziehe ich mir diese Dinger an die Füße, damit es mit dem Runterfallen noch ein bisschen schneller geht?« Usw.
Jaja, du hast recht! Anscheinend haben Trolle mein Unterbewusstsein infiltriert. Überhaupt: Warum sind Träume für den Träumenden so spannend und für alle anderen so öd? Wahrscheinlich sind wir schrecklich beeindruckt von uns selbst, weil wir uns eine Geschichte ausgedacht haben, dabei ist sie für andere Leute völlig bedeutungslos.
Genau. Und die Typen, die meinen, der Traum ist besonders erstaunlich, weil er surreal ist, kriegen doppelte Langweilerpunkte. Als wären Träume üblicherweise logisch. »Da stand ich und starrte die Ziege an, und plötzlich, oh Schreck, wurde mir klar, dassICH SELBST die Ziege war!«
Das klingt doch ehrlich gesagt ziemlich cool. Die Transmogrifikation zur Ziege toppt das Skifahren eindeutig.
Mann, warum bin ich so eine faule Socke? Wäre ich bloß die zwei Minuten länger zum Caffè Nero gegangen! Sogar der Flat White von Starbucks ist eklig süß wie ein Kinder-Milkshake. Treffen wir uns nach der Arbeit auf ein Bier?
Bier nach der Arbeit!
Ich vermisse dich.
Ich hasse es, mir in Ermangelung des Originals deine Sprüche auszudenken. Ich bin das, was meine Mutter eine »geborene Imitatorin« nennt – wobei das bei ihr etwas säuerlich rüberkommt, weil ich ziemlich gut darin war, ihren zweiten Mann nachzuahmen.
Die Leichtigkeit aber, mit der ich dich heraufbeschwören kann, fühlt sich an wie ein Fluch. Ein Taschenspielertrick, doch das Ganze ist eine makabre Parodie. Als würde man mit einer Schaufensterpuppe Walzer tanzen.
Ich rutsche tiefer unter die warme Bettdecke und lausche dem Regen, der draußen aufs Dach prasselt. Ich bin Grufti genug, um einen Wolkenbruch zu genießen, solange ich nicht hinausmuss, und der hier ist wirklich gut: schwer, so richtig nass, er tränkt die Erde, und man hört sogar, wie das Wasser von den Blättern abprallt. Nur Schlaflose, der Milchmann, die übrig gebliebenen Nachtschwärmer und Schichtarbeiter werden überhaupt wissen, dass es ihn gab. Er ist ein Geheimnis, das wir teilen, während der Rest der Stadt vor sich hin schnarcht.
Kurz setzt mein Herz aus, als sich der Vorhang bewegt. Roger gleitet durchs Fenster herein und miaut empört. Irgendjemand hat kaltes Wasser vom Himmel auf ihn geschüttet, gerade als er damit beschäftigt war, Ratten zu observieren und sich zu amüsieren.
Im Licht der Nachttischlampe, die du mir geschenkt hast – sie ist aus Keramik und hat die Form eines Fliegenpilzes im Disney-Stil mit weißem Stamm und gepunktetem rotem Hut (»Es handelt sich um einen Giftpilz. Mit deinen putzigen Wohnaccessoires kannst du jede Hoffnung auf einen Freund begraben«) −, sehe ich, wie Roger es sich am Fußende des Betts gemütlich macht; sein Fell ist feucht und stachelig.
Jemand hat mir mal erzählt, dass eine Geburt gleichzeitig das gewöhnlichste und außergewöhnlichste Erlebnis ist, das man haben kann. Beim Tod ist es genauso. Die unumstößliche Tatsache deines Todes manifestiert sich genau hier, unerbittlich und gleichzeitig so banal und überwältigend befremdlich.
Mir ist klar geworden, dass es immer so bleiben wird. Der Schmerz ist dauerhaft, ich muss einen Platz für ihn finden. Er ist jetzt ein Teil meines Körpers.
Dauernd warte ich darauf, dass es vergeht. Dass ich nach vorne schauen kann, es verkraften, beiseitelegen, verstehen und verarbeiten kann. Dass ich das Ganze irgendwie »hinter mich« bringe. Wie geht es weiter?, denke ich ständig, während der Schmerz in meinem Magen sich so anfühlt, als habe man mir den Bauch aufgeschlitzt. Es gibt keinWeiter, Dummerchen. Genau das ist der Punkt. Ein Mensch ist fort, für immer, und du musst aufhören, auf die Rückkehr dieses Menschen zu warten. Ohne dass du es merkst, steckst du in einer Warteschleife fest, als könnte sich an der Tatsache, dass dieser Mensch weg ist, etwas ändern.
Was