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Dezentes Gedudel romantischer Geigenklänge erfüllte den Raum. Überall lagen dicke Teppiche, die jeden Schritt dämpften. Die Wände waren in zarten Rosétönen gehalten, und wo immer man hinschaute, sorgten Blumenarrangements für bunte Farbtupfer. Dazu kamen pinke Sitzgruppen und Sesselchen, goldene Bilderrahmen und der Duft eines sehr teuren Parfüms, das wohldosiert über die Klimaanlage versprüht wurde. In diesen Räumen herrschte genau die Atmosphäre, die das Herz der meisten Frauen höherschlagen ließ. Wer hier einkaufen wollte, hatte nur ein Ziel – das absolut perfekte Stück zu finden. Das Stück, was man nur ein einziges Mal im ganzen Leben trug. Zumindest dann, wenn alles nach Plan verlief. Hier erfüllten sich Wunschträume und zerplatzten Wunschballons.
Mit angehaltenem Atem verließ Hanna die Umkleidekabine. Ihr Herz klopfte bis zum Hals, und sie hatte beinahe schon Angst vor dem Blick in den Spiegel. Das Kleid, welches sie jetzt trug, war das letzte der Auswahl. Es fühlte sich an wie die eine verbleibende Chance, bevor irgendwas Schreckliches geschah. Obwohl dies natürlich Unsinn war. Immerhin gab es noch mehr Brautmodengeschäfte und eine schier unendliche Auswahl an Modellen. Trotzdem hatte sie auf die Punktlandung beim ersten Mal gehofft, um als glückliche Braut heimfahren zu dürfen. Das wäre immerhin ein Punkt weniger gewesen auf der langen Liste von Dingen, die noch vor der Hochzeit erledigt werden mussten. Aber keines der vorherigen Stücke hatte ihr zugesagt. Sie hatte sich verkleidet gefühlt, unwohl. Natürlich war ihr nicht entgangen, dass die Verkäuferin sie in eine ganz bestimmte Richtung hatte schieben wollen. Doch diese Richtung hatte einfach nicht auf Hannas Kurs gelegen. Sie war keine Prinzessin, sie wollte keine endlosen Tülllagen oder glitzernde Korsagen, die einem in den Augen schmerzten. Sie wollte sie selbst sein, am schönsten Tag in ihrem Leben.
Und nun also Brautkleid Nummer sechs. Schon in der Kabine war ein seltsames Gefühl in ihr aufgestiegen, die Gewissheit, diesmal richtigzuliegen. Aber halt, noch fehlte der Blick in den Spiegel, denn der war in der Kabine verhängt, was sie reichlich albern fand. Doch alles war hier auf diesen einen Moment ausgerichtet, und den sollte jede Braut im Beisein ihrer Lieben erleben.Freu dich nicht zu früh, Hanna, sagte sie sich und passierte den Vorhang. Bei jedem Schritt schwang das Kleid um ihre Beine, leicht, federleicht, fließend irgendwie. Sie schwebte über den pinkfarbenen Teppich zur kleinen Sitzgruppe, auf der ihre Begleiter Platz genommen hatten. Erwartungsvolle Blicke streiften ihren Körper. Hannas Augen bohrten sich in die ihrer Schwester Emma. Wenn sie irgendwo die Antwort auf ihre Frage sehen konnte, dann dort. Emma wusste, was ihr stand und was nicht. Aber sie wusste vor allem, was Hanna wollte und was nicht.
Und Emma lächelte und ließ ihre Blicke über sie schweifen. Dabei wiegte sie sanft ihren Sohn auf dem Schoß hin und her. Max ballte seine Fäuste im Schlaf. Gerade eben noch hatte er ein Fläschchen trinken können, und nun war seine kleine Welt in Ordnung.
Vier Monate war Max nun alt und wusste noch nichts von der turbulenten Geschichte rund um seine Entstehung. Denn Hannas Zwillingsschwester Emma, die seit ihrem Umzug nach Hamburg die PensionStrandkieker und das dazu gehörende Café führte, hatte mit zwei Männern geschlafen. Da war zum einen ihr Ex David gewesen, der nach ihrer Trennung eine letzte Aussprache mit ihr hatte führen wollen. Erinnerungen an längst vergangene schöne Zeiten hatten beide zu einer Liebesnacht verleitet. Danach war klar gewesen, dass ihre Beziehung endgültig vorbei war und es keine Chance für einen Neuanfang geben würde.
Und zum anderen Arne, der Kapitän, der sich um das pensionseigene SegelbootTrude kümmerte und dem Emmas Herz schon lange Zeit heimlich gehört hatte. Nur hatte sie dies selbst nicht so recht gewusst. Nach Max' Geburt war ein Vaterschaftstest überflüssig geworden. Denn der Kleine war Arne dermaßen ähnlich, dass selbst ein Unbekannter sofort die direkte Verwandtschaft erkannte.
David hatte von der Ferne gratuliert und der kleinen Familie alles Gute gewünscht. Er war längst weitergezogen und brachte einen neuen Hotelkomplex in einem anderen Land zum Laufen. Seine Passion, bei der er und Emma sich damals in Australien kennen und lieben gelernt hatten. Ein Lebenskapitel hatte sich geschlossen und ein neues begonnen. Emma und Arne waren n