: Anne Stern
: Fräulein Gold: Der Himmel über der Stadt
: Rowohlt Verlag Gmbh
: 9783644007826
: Die Hebamme von Berlin
: 1
: CHF 10.00
:
: Krimis, Thriller, Spionage
: German
: 480
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Band 3 der Bestsellerreihe um die Berliner Hebamme Hulda Gold - berührende Schicksale und dunkle Geheimnisse im Berlin der 1920er Jahre. Berlin, 1924. Hulda Gold arbeitet in der neuen Frauenklinik in Berlin-Mitte und versorgt dort die Frauen und ihre Neugeborenen. Die Geburtshilfe ist modern, Berlin am medizinischen Puls der Zeit. Doch es kommt zu einem tragischen Todesfall: Eine junge Schwangere stirbt bei einer Operation, die ausgerechnet der ehrgeizige Chef-Gynäkologe Egon Breitenstein durchfu?hrt. Zufällig stößt Hulda auf Ungereimtheiten, die einen u?blen Verdacht keimen lassen. Die Mauer des Schweigens, die sich in der Klinik aufbaut, ist fu?r die Hebamme aber kaum zu durchdringen. Ein Dickicht aus Ehrgeiz und falschen Ambitionen umgibt die Ärzte, die bereit sind, ihr männliches Imperium zu verteidigen - wenn nötig, bis zum Äußersten. Hulda Gold kämpft für die Belange der Frauen. Und für ihr eigenes kleines Glück.

Anne Stern wurde in Berlin geboren und ist Historikerin und promovierte Germanistin. Ihre  Reihe um die Berliner Hebamme «Fräulein Gold» ist ein großer Erfolg, jeder Band ein Spiegel-Bestseller. Anne Stern lebt mit ihrer Familie in Berlin.

1.


Montag, 14. Juli 1924

Huldas Herz klopfte plötzlich schneller, als sie über die Ebertsbrücke lief und vor sich die Backsteinmauern der Klinik auftauchen sah. Verwundert blieb sie stehen und zwang sich, tief durchzuatmen. War das wirklich sie, Hulda Gold, die erfahrene Hebamme vom Winterfeldtplatz, die angesichts der ehrwürdigen Steine ihres zukünftigen Arbeitsplatzes aus dem Häuschen geriet? Besser, sie riss sich zusammen und wischte sich die Nervosität aus dem Gesicht, ehe die Krankenschwestern schon am ersten Tag über das neue Huhn im Hebammenzimmer kicherten und spotteten.

Hulda stellte die schwere Ledertasche einen Moment auf dem Trottoir ab und straffte die Schultern. Sie blickte hinauf in den Himmel, der sich hellblau wie die Ballrobe einer Dame über die Häuser spannte, mit winzigen weißen Wölkchen, als hätte jemand die Samen einer Butterblume auf den schwingenden Rock gepustet. Die Morgensonne stand im Osten und malte glitzernde Kreise auf das Wasser der Spree, die Luft war noch frisch und klar, eine Seltenheit im staubigen Berlin.

Weiter hinten, in der Artilleriestraße, erhob sich auf der rechten Seite das wuchtige Haupttelegraphenamt, ein Koloss, in dem die Fernsprecher-Arterien der Stadt zusammenliefen wie in einem steinernen Herz.

Prüfend strich sich Hulda eine vorwitzige Haarsträhne aus der Stirn. Sie vermisste ihre rote Kappe, die ihre Frisur im Zaum hielt, aber bei diesen warmen Temperaturen ertrug sie es darunter nicht. Dann wischte sie sich die feuchten Handflächen am Faltenrock ab und griff entschlossen zum abgetragenen Henkel ihrer Hebammentasche. Man erwartete sie. Und sie würde eine gute Figur abgeben, das wusste sie trotz ihres nervösen Anflugs. Es war ihre Spezialität, die Menschen schnell von ihrer Kompetenz zu überzeugen, ohne dass sie viel sagte. Sie musste sich nur ein wenig an den Gedanken gewöhnen, künftig in einer der bedeutendsten Frauenkliniken des Landes zu arbeiten, anstatt wie früher in ihrer kleinen Schöneberger Welt schalten und walten zu können, wie sie wollte.

Aber das war eigentlich auch nur die halbe Wahrheit, dachte sie, als sie mit gewohnt flinken Schritten den Fluss überquerte und am anderen Ufer die Artilleriestraße entlanglief. Eine freie Hebamme war vor allem frei von Sicherheit, von einem verlässlichen Auskommen, und sie würde später, im Alter, ohne Rente auf sich gestellt sein. Hulda hatte sich trotz der angeblichen Unabhängigkeit ihres Berufs bei jeder Kleinigkeit vom Bezirksarzt gängeln lassen müssen, hatte stets gezittert, dass ihr der übellaunige Doktor Schneider jederzeit einen Fehler nachweisen konnte und ihr daraufhin die Lizenz entzogen würde. Es gab außerdem bei weitem nicht genug Schwangere zu betreuen, seitdem immer mehr Aufgaben der Hebammen von den Mütterberatungsstellen und den Geburtenstationen der Kliniken übernommen wurden. Hulda verdiente pro Geburt, nicht pro Arbeitsstunde, und während Letztere sie oft um den Nachtschlaf brachten, reichten Erstere kaum, um ihr ein monatliches Auskommen zu garantieren. Dieses Missverhältnis war nicht länger zu übersehen gewesen.

Nein, dachte Hulda und suchte mit den Augen den Eingang zur Klinik, es war Zeit, ihre Situation zu ver