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Auch Menschen, die dich lieben, können dir wehtun und dir das Leben schwer machen. Ganz besonders sie.
Zoey
»Bist du sicher, dass du das tun willst?«
Ganz abgesehen davon, dass Montag die Uni beginnt, wäre es ziemlich spät, sich erst jetzt darüber Gedanken zu machen, aber das behalte ich für mich. Meine Mom hat mir diese Frage in den letzten Tagen bereits so oft gestellt, dass ich sie nicht mehr hören kann, und es kostet mich unendlich viel Kraft, nicht frustriert aufzustöhnen oder ganz offensichtlich die Augen zu verdrehen. Natürlich meint sie es nur gut, das tut sie immer, ich weiß das, und ich liebe sie. Aber aus irgendeinem Grund raubt mir diese Fragerei seit Wochen mehr und mehr die Luft zum Atmen.
Statt einer genervten Erwiderung, die ich nur über die Lippen bringen würde, weil ich so nervös bin, und die ich später bereuen würde, setze ich mich auf meinen in die Jahre gekommenen Koffer, puste mir eine verirrte Strähne aus der Stirn und versuche angestrengt, den Reißverschluss zu schließen, ohne dass mir mein ganzes Zeug entgegenfliegt. Das ist der dritte Versuch, zuvor habe ich immer etwas vergessen. Jedes Mal wurde es schwieriger, das Ding wieder zu schließen. Wird es ein vierter, und das gegen neun Uhr morgens, bekomme ich nicht nur einen Nervenzusammenbruch, sondern verpasse auch meinen Zug.
»Ja, Mom. Ich bin sicher. Das bin ich, seit ich beschlossen habe, mich an der Harbor Hill zu bewerben«, betone ich, aber das Gesicht meiner Mom sieht weiterhin sehr leidend aus. Es macht keinen Unterschied. Meine Pläne stehen fest, und ich werde sie nicht ändern, nur weil sie meinen Eltern Bauchschmerzen bereiten.
Angespannt bemühe ich mich um ein Lächeln, und sie tut es mir gleich. »Ich bin nicht aus der Welt, und in den Semesterferien komme ich euch besuchen. Versprochen. Die nächsten sind schon im Frühsommer.«
»Wir schaffen das bestimmt schon vorher, Zoey.«
Dabei bin ich nur für meine Eltern so lange daheimgeblieben, sonst wäre ich bereits vor einigen Tagen nach Seattle aufgebrochen, um genügend Zeit zu haben, richtig anzukommen.
»Bestimmt. Die Zeit wird verfliegen, du wirst sehen.«
»Egal, was ist, vergiss nicht: Du passt bitte immer gut auf dich auf.« Das betont sie sehr nachdrücklich. Wären es Worte auf Papier, hätte meine Mom sie ganz sicher mit Edding und in Großbuchstaben geschrieben, unterstrichen und fett angemalt. Mit Ausrufezeichen dahinter.
»Werde ich.« Ich senke den Kopf ein wenig, damit sie nicht sieht, wie ich angestrengt die Lippen zusammenpresse.
Mir nicht anmerken zu lassen, dass mich dieser eine Satz von ihr auf gewisse Art verletzt, ist schwieriger als gedacht.
Mom sorgt sich um mich und würde alles dafür tun, die Zeit zurückzudrehen. Da ist sie nicht die Einzige. Aber mir so nachdrücklich zu sagen, dass ich auf mich aufpassen soll, und zwarimmer undgut, das klingt, als hätte ich das damals nicht getan oder versucht. Als wäre es meine Schuld und als wäre mir meine Sicherheit egal gewesen. Es hört sich an, als hätte man mir das auf keinen Fall angetan, wäre ich nur vorsichtiger gewesen. Dann hätte man es mir nicht antunkönnen. Doch von diesen Gedanken und der Wirkung ihrer Worte ahnt Mom nichts.
»Dass es ausgerechnet Seattle sein muss. Ausgerechnet diese