: Elisabeth Beer
: Die Bücherjägerin Roman
: DuMont Buchverlag
: 9783832160722
: 1
: CHF 16.10
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 432
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Sarah ist Bücherjägerin, Kartensammlerin und Restauratorin, sie liebt Manuskripte und alte Landkarten und kann generell besser mit Büchern als mit Menschen umgehen. Seit dem Tod ihrer Tante Amalia, die sie und ihre Schwester aufgezogen hat, lebt Sarah zurückgezogen in deren Marienburger Villa mit dem wild sprießenden Garten. Ihre einzige Gesellschaft: die Schildkröten Bonnie und Clyde. Das ändert sich, als Benjamin, ein junger Bibliothekar aus London, vor der Tür steht. Er bittet Sarah, ihm beim Finden einer alten römischen Straßenkarte zu helfen, ein Auftrag, den Amalia kurz vor ihrem Tod angenommen hatte. Sarah zögert, und dann tut sie es doch, fährt mit Ben in seinem alten Auto einfach los, im Gepäck zwei Schildkröten, ein paar Atlanten und viele Fragen. So machen sie sich auf eine Reise, die sie nach Frankreich und England führt, in die Welt der Bücher und Karten, in Amalias Vergangenheit - und in ein unglaubliches Abenteuer. Eine warmherzige und feinhumorige Geschichte über Liebe und Familie und darüber, dass eine Karte aus längst vergangenen Zeiten im Hier und Jetzt den Weg zurück ins Leben weisen kann.

ELISABETH BEER, geboren 1989 in Westfalen, wuchs auf dem Land in der Nähe von Köln auf. Sie studierte Komparatistik in Berlin, wo sie inzwischen lebt und arbeitet. Wenn sie nicht in der ein oder anderen Form mit Büchern beschäftigt ist, befindet sie sich am liebsten auf Reisen.>Die Bücherjägerin< ist ihr erster Roman, der beide Leidenschaften verbindet.

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Prinzessin im Papierpalast

Es klingelte an der Tür. Meine behandschuhten Finger fuhren gerade über den Rücken eines alten Ritterromans. Sein Ledereinband musste ersetzt werden, bevor ich ihn an den Sammler weiterverkaufen konnte, der ihn bei mir bestellt hatte. Das unbarmherzige Klingeln der Glocke schallte durchs Haus bis hier in die Bibliothek und Werkstatt und unterbrach meinen Gedankenfluss, der um den unangenehmen Mann kreiste, der bald dieses schöne Buch in Händen halten würde. Mir ist nie so richtig klar geworden, warum Tante Amalia eine Türglocke mit dem Läuten von Big Ben installiert hatte, ein unseliges Gebimmel, wenn man es mehrmals die Woche hören muss. Ich hielt in meiner Bewegung inne und wartete darauf, dass der Eindringling wieder verschwand. Wenn es der Paketbote war, dann würde er sicher gleich gehen. Er kannte mich schon und hatte wohl ein bisschen Angst vor mir, seinem hektischen Rückzug nach zu schließen, wenn er mich zur Tür kommen hörte. Aber es läutete erneut.

Ich seufzte und legte das alte Buch vorsichtig auf meine Arbeitsfläche, zog die Handschuhe aus und machte mich auf den Weg zur Haustür. Das ist nicht so einfach, wie es sich anhört. Die ganze Bibliothek sowie das Wohnzimmer, der Salon, der Flur und die angrenzenden Räume sind mit Bücherstapeln und aufgerollten Karten gefüllt, die kleine und mittlere Türme auf dem Boden bilden, Möbel und Regale bedecken und manchmal auch umfallen. Das sind natürlich nicht die alten und wertvollen Manuskripte, sondern die Bibliothek von Amalias Großmutter, Romane und Erstdrucke oder einfach das, was ich oder Amalia zuletzt gelesen hatten oder woran wir nicht vorbeigehen konnten, ohne es zu kaufen. Ich bahnte mir einen Weg durch die Stapel und dachte wieder einmal daran, dass ich Amalias Sammlung ordnen, vielleicht ein paar Bücher weggeben, vielleicht einige verkaufen und spenden sollte. Aber allein bei dem Gedanken daran verkrampfte sich mein Magen.

Die Villa ist ein Labyrinth, aber keines von der Sorte, die Spaß macht. Das Haus meiner Tante steht in Marienburg, es ist eine jener alten Kölner Villen, die ein bisschen außerhalb des Zentrums liegen und einen eigenen Garten haben, weil sie früher einer wichtigen Person gehörten, die sich beim Promenieren nicht die Füße in der Stadt schmutzig machen wollte. Das zumindest erzählte mir meine Tante, als ich mit zehn Jahren zusammen mit meiner Schwester bei ihr einzog, eine Woche nachdem unsere Eltern tödlich verunglückt waren.

Das Haus besteht aus mehreren Teilen, die alle miteinander verbunden, aber ungleich groß sind und verschiedene Formen haben. Es gibt diesen Hauptteil im Fachwerkstil, dann eine Art Türmchen aus rosaroten Steinen, einen Anbau, der wahrscheinlich früher mal der Stall war und der jetzt als Garage genutzt wird. Das Haus hat unten eine Steinfassade mit einem Erker, auf dem der Balkon im ersten Stock liegt. Der Rest der Fassade ist weiß verputzt. Die langen, schlanken Fenster erinnern an die von Fachwerkhäusern, sind aber größer. Außen am Haus sind mehrere Balken zu sehen, die aber eher der Dekoration als der Statik dienen. Die Dachgiebel sind verziert, und das Dach selbst ist schwarz wie Schiefer. Keine Ahnung, welcher architektonische Banause sich das hier ausgedacht hat. Der Großteil der Fassade ist inzwischen von Efeu und Brombeeren bewachsen, deshalb ist es nicht so schlimm anzusehen.

Am besten ist eigentlich der Garten, fast so groß wie ein Park, von einer hohen Steinmauer umgeben. Hier stehen ein Kirschbaum, Apfel-, Mandel- und Zwetschgenbäume, eine Himalaja-Kiefer, eine Hängebuche und eine weiße Magnolie, auf die Amalia immer sehr stolz war, obwohl der Baum geradezu entgegen ihren Bemühungen überleben musste; Amalia hatte das Gegenteil eines grünen Daumens.