Kapitel 1
Leonberg, Sommer 1620
Es war ein nasskalter Morgen. Nebelschwaden zogen durch die Gassen. Ein grauer Himmel drückte mit tief hängenden Wolken auf die Stadt. Fröstelnd griff Sibylla nach ihrem Wolltuch und schlang es sich um die Schultern.
»Man sollte nicht glauben, dass wir noch immer August haben«, brummte sie missmutig, als sie nach dem Schürhaken griff, um die über Nacht sorgsam gehütete Glut wieder anzufachen. Sie legte ein paar dünne Späne darüber, wartete, bis die ersten Flammen an ihnen emporzüngelten, und schob erst dann einen dicken Scheit in den Ofen. Mit einem Holzlöffel rührte sie den am Vorabend eingeweichten Getreidebrei durch, gab Butter und ein wenig Honig hinzu und rührte ihn weiter, bis er warm war.
Schritte näherten sich der Küche. Ein kalter Luftzug umwehte ihre Füße, als sich die Tür öffnete. Doch dann legten sich zwei wärmende Männerarme um ihre Taille.
»Ich wünsche dir einen guten Morgen, meine Liebste. Habe ich verschlafen? Das tut mir leid. Warum hast du mich nicht geweckt?«
Sie wandte sich um und erwiderte die Umarmung. Für einen Moment schloss Sibylla die Augen und atmete genießerisch den noch bettwarmen Geruch ihres Gatten ein.
»Ich wünsche dir auch einen guten Morgen, lieber Peter«, antwortete sie. »Und nein, du hast nicht verschlafen. Ich bin früh dran, um euch das Essen zuzubereiten. Aber wenn du schon auf bist, kannst du dich auch gleich zu mir an den Tisch setzen.«
Er vergrub sein Gesicht in ihr langes goldblondes Haar, das sie so früh am Morgen noch nicht aufgesteckt und unter einer Haube verborgen hatte. Im Schein des Herdfeuers schienen kleine Flammen über ihre Locken zu huschen. Ihrem Haar jedenfalls sah man die Jahre nicht an, die vergangen waren, seit sie mit Peter Berchtold nach Leonberg gekommen war. In ihrem Gesicht jedoch glaubte sie, die ersten Fältchen entdecken zu können, auch wenn ihr Mann das stets bestritt. Er wurde nicht müde, ihr zu versichern, dass sie mit ihrer schlanken Gestalt und dem seit der Geburt des Kindes etwas üppigeren Busen die schönste Frau war, die ihm jemals unter die Augen gekommen sei. Er liebe alles an ihr, sogar die kleinen Sommersprossen auf ihrer Nase.
Sie versicherte ihm mit einem warmen Lächeln, dass auch sie ihn liebe und dass sie glücklich sei, einen so gut aussehenden Mann geheiratet zu haben. Und das war er, groß und stattlich, das sandfarbene Haar stets sorgfältig geschnitten, der Bart sauber gestutzt. Seine Haltung hatte stets etwas Vornehmes, was ihm nicht von allen Seiten Sympathie eintrug, doch Sibylla mochte es. Sie verstand nicht, wie manche dazu kamen, ihm Hochmut vorzuwerfen. Dabei musste man nur einen Blick in seine braunen Augen werfen, um zu wissen, was für ein durch und durch guter Mensch er war.
Ein Geruch stieg ihr in die Nase.
»Oh nein!« Sibylla stieß einen Schrei aus, wand sich aus seinen Armen und begann hektisch den aufspritzenden Brei umzurühren. Mit einem Zipfel ihrer Schürze umfasste sie den heißen Griff des