Kapitel2
Ich spreche nie über Louise. Wäre Miriam Hedlund nicht gewesen, hätte ich auch Leo nie von ihr erzählt.
Es war ungefähr ein Jahr, bevor ich in dieUSA zog. Leo und ich arbeiteten da seit ein paar Jahren regelmäßig zusammen. Ein eingespieltes Duo wie in den Fernsehkrimis waren wir aber nicht: Er war kein dunkler, düsterer Typ, ich nicht groß, schlank und ohneBH, und ein Alkoholproblem hatten wir beide nicht. Ich trank überhaupt nicht, und Leo war so fokussiert auf sein Training, dass er jeden Drink verabscheute, sofern er kein grüner Smoothie war oder Kreatin enthielt.
Doch der Fall mit Miriam Hedlund brachte uns weit genug aus der Fassung, um uns einander zu öffnen.
Da sie erst15 Jahre alt gewesen war, beschloss er, eine externe Beraterin hinzuzuziehen. Meine Chefin Laetitia hatte früher in der Jugendhilfe gearbeitet und kümmerte sich normalerweise um Fälle mit Kindern und Jugendlichen, aber Leo und ich hatten zu diesem Zeitpunkt schon mehrfach zusammengearbeitet und wussten, dass wir als Team gut funktionierten, weshalb er mich anrief und fragte, ob ich Zeit hätte.
Damals war ich knapp über30 und hatte gerade ausreichend Erfahrung als beratende Vernehmungsexpertin, um irrtümlicherweise zu glauben, ich wüsste, was ich tue. Leo hatte ein gutes Jahr hinter sich und fühlte sich allmählich richtig wohl in seiner Rolle als Ermittler. Der Fall schien simpel: ein Einbruchdiebstahl, der schiefgegangen und aus dem Ruder gelaufen war. In der Gegend, in der Miriam und ihre Eltern wohnten, hatte es eine Reihe von Einbrüchen gegeben, und Miriam war eine aufmerksame Zeugin.
Zu aufmerksam, aber daran dachten wir damals nicht.
Leo holte mich dazu, um sie als Zeugin zu befragen, nicht um sie als Verdächtige zu vernehmen. Sie tat ihm leid. Er bat mich, auf Anzeichen für ein Trauma zu achten, denn welche15-Jährige wäre schließlich nicht traumatisiert, wenn sie mit ansehen müsste, wie ihr Vater von einem Einbrecher schwer misshandelt wird?
Wir beide trugen Schuld. Doch das begriffen wir erst danach. Hätte Leo sich den Tatort genauer angesehen, wäre ihm aufgefallen, dass das Schloss an der Haustür in Wahrheit nie aufgebrochen worden war, sondern dass die groben Spuren rund um das Schloss eher aussahen, als hätte jemand mit einem Messer auf die Tür eingehackt, und nicht auf einen ernst zu nehmenden Einbruchsversuch schließen ließen.
Und wäre ich nicht so beschäftigt damit gewesen, nach Anzeichen einer posttraumatischen Belastungsstörung zu suchen, hätte ich erkannt, wie ungewöhnlich Miriams Aussage ausfiel, wenn man sie mit typischen Zeugenaussagen von Verbrechensopfern verglich. Sie erinnerte sich an jedes Detail, zögerte nicht, verhaspelte sich nie oder suchte nach Worten. Ich interpretierte ihren Affektmangel als Schock, ihre Sicherheit als Verteidigungsmechanismus.
Noch heute frage ich mich manchmal, ob meine Chefin Laetitia gesehen hätte, was mir damals entging. Ebenso wenig kann Leo wissen, ob ein anderer Ermittler hätte ahnen können, dass etwas nicht stimmte. Womöglich wäre ein anderes Te