: Jürgen Flimm
: Mit Herz und Mund und Tat und Leben Erinnerungen
: Verlag Kiepenheuer& Witsch GmbH
: 9783462303100
: 1
: CHF 22.00
:
: Biographien, Autobiographien
: German
: 352
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Die Memoiren des Jürgen Flimm - eine Theaterlegende, die kulturelle Geschichte geschrieben hat Es begann sehr früh: Schon als kleiner Junge saß Jürgen Flimm neben seinem Vater, einem Theaterarzt, im Publikum und ließ sich vom Geschehen auf der Bühne begeistern. An der Kölner Studiobühne machte er als Student erste praktische Erfahrungen, 1968 begann seine unvergleichliche Theaterkarriere als Regieassistent an den Münchner Kammerspielen. In den folgenden fünf Jahrzehnten hat er bis zum heutigen Tag national und international Kulturgeschichte geschrieben. Mit unvergesslichen Regiearbeiten, als Intendant am Kölner Schauspielhaus und am Hamburger Thalia Theater, als Leiter der Ruhrtriennale und der Salzburger Festspiele sowie als Intendant der Berliner Staatsoper Unter den Linden. In Bayreuth brachte er einen denkwürdigen »Ring« auf die Bühne und seine oft spektakulären Operninszenierungen führten ihn an die Met in New York, nach Mailand, London, Petersburg und Chicago. Fast jeder Theaterliebhaber erinnert sich an eine oder mehrere bahnbrechende Inszenierungen Jürgen Flimms, etwa an das »Käthchen von Heilbronn« 1979 in Köln, an »Romeo und Julia« 2001 an der Wiener Staatsoper oder an Mozarts »Le nozze di Figaro« 1999 in Zürich.  Zugleich mischte er in der Kulturpolitik mit, trat selbst als Schauspieler auf, arbeitete für das Fernsehen und verlor bei alldem nie seinen umwerfenden, rheinischen Humor, der seine Lebenserinnerungen zu einer höchst vergnüglichen Lektüre macht. Ein Buch voller Aufs und Abs, Bravos und auch Buhs, großer Erfolge und Niederlagen. Ein Dokument der Zeit- und Kulturgeschichte, und eine Erinnerung daran, dass das Leben ohne Kunst kein Leben ist.

Jürgen Flimm, geboren 17. Juli 1941, gestorben am 4. Februar 2023, war Professor für Regie an der Hamburger Universität und war Mitglied der Akademie der Künste (Berlin), der Freien Akademie der Künste Hamburg und der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste. Von 1999 bis 2013 Präsident des Deutschen Bühnenvereins. Er wurde für seine Arbeit vielfach geehrt, u.a. mit dem Bundesverdienstkreuz und dem österreichischen Kreuz für Kunst und Wissenschaft.
Inhaltsverzeichnis

Die beste Großmutter und der kleine Junge


Prolog

Lauf, sagte sie. Den langen Stock hatte er noch rasch hinter die grüne Eisentür gelehnt und war schleunigst noch einmal fortgesprungen, unten am Wasser hatte der Heinz eine grüne Schlange gesehen. Er eilte klopfenden Herzens, eine Schlange! Wie die sich wohl anfühlte, grün und glitschig, kalt und warm, ob sie beißen würde? Eine Weile stand er da und schaute. Bald aber langweilte er sich, diese doofen Fische, der blöde Heinz!

Heinz hockte auf einem runden Stein mitten im Bach, schaute in das Wasser, sah kurz auf, legte seinen schmutzigen Zeigefinger vor den Mund und griff plötzlich nach den flinken Fischen, die ihm aber entwischten. Und die Schlange?, rief er hinüber. Heinz schüttelte ärgerlich den Kopf, also machte er kehrt, trödelte eine kleine Weile die Straße entlang, wich einem Zug blöder Kühe aus, kletterte behände und gekonnt den steinigen Hang zur Jugendherberge hoch und hüpfte rechts auf den Weg. Da sah er sie.

Sie standen gebückt vor der grünen Tür und schauten, ein großer Haufen großer Menschen. Dann richteten sich alle auf und schauten auf ihn. Ihm wurde mulmig, er begann zu laufen und keuchte den kleinen Weg hoch. Da hast du ja was Schönes angerichtet, rief man ihm entgegen.

Elsbeth, seine liebe Oma, lag mit geschlossenen Augen auf dem Boden, in ihrem leichten grauen Sommerkleid mit der matten Silberbrosche. Sie blinzelte ihm zu, das Bein, sagte sie, das Bein hat was abgekriegt. Er kniete sich zu ihr und schaute hoch zu den vielen großen Leuten. Ob das sein Stock sei, fragte jemand streng. Er nickte fassungslos. Ja, der schöne, biegsame, lange, helle, den der Herr Lehner, der von nebenan, der von der Baracke, der mit der alten Soldatenmütze, geschnitten und geschält und geschnitzt hatte, mit seinem alten Brotmesser. Ja, der mit den Kringeln drin und seinem Namen, sonst ohne Rinde, und so glatt und so weiß. Ja, sein Stock, und er wagte nicht, Luft zu holen.

Na, was er da wieder einmal angerichtet habe! Seine Mutter käme auch aus der Stadt, gerade habe man sie angerufen, dann könne er ja was erleben! Er blickte zu dem Elschen, das lächelnd am Boden lag. Es tut nicht weh, du kannst nichts dafür, weine nicht. Natürlich, sagte wieder jemand von oben herab, hätte er den Stock nicht so dumm hingestellt, wäre der ja nicht gekippt und Sie wären auch nicht drüber gestolpert, Frau Professor! Seine eigene Großmutter! Ich bin doch nicht dumm, dachte er. Elschen lachte. Er ist doch nicht dumm, sagte sie, er wollte doch nur schnell zum Bach hinunter wegen der Schlange, sie seufzte und machte eine kleine Bewegung. Tut es weh?, fragte oben jemand. I wo, sagte sie. Er hielt ihre Hand. Ich wollte doch nur noch runter zum Bach, Heinz hatte doch die Schlange gesehen, die war aber schon weg, und der Heinz saß mitten im Bach und griff nach den Fischen. Weißt du, da bin ich doch gleich zurück.Du hast doch auch gesagt, es dauert noch was mit dem Abendessen, ich habe mich doch auch beeilt, wie du es mir gesagt hast. Ihm liefen die Tränen runter, er plapperte, redete und beim Plappern und Reden verließ ihn die Angst. Sie lächelte und blinzelte und hielt seine kleine schmutzige Hand. Ja, mein Kleiner. Bleiben Sie ruhig liegen, Frau Professor, sagte jemand. Wir schauen, wo das Auto bleibt. Die großen Menschen eilten fort, er stand auf und trottete ihnen nach. Dann, plötzlich, durchfuhr es ihn, er stürzte zurück, welches Auto? Ich muss ja ins Krankenhaus, sagte Elschen, wegen des Beins, ich kann ja nicht für alle Ewigkeit hier liegen bleiben. Steh doch auf, wagte er zu sagen, ich helfe dir, ich kann das, du wirst schon sehen. Nein, das schaffen wir beide nicht, da müssen wir schon ein bisschen warten. Er hockte sich nieder, den Kopf auf den Knien, und sah sie an. Eine siedend heiße Welle. Schreckliche Angst stieg in ihm hoch. Ganz kaputt, flüsterte er, als ständen die großen Menschen noch böse um ihn herum. Sie seufzte wieder, der Wagen kommt ja bald.

Der weiße Wagen kam den steilen Weg hochgewackelt. Die großen Menschen wiesen wichtig den Weg, hier lang. Neben der hohen Buche hielt er, weiße Männer sprangen heraus. Aua, aua, rief Elschen, als sie sie hochhoben und auf die Trage legten.

Tut’s weh?, stammelte er. Geht schon, lächelte sie ihm zu