: Stephanie S. Cooke
: Atom Die Geschichte des nuklearen Zeitalters
: Verlag Kiepenheuer& Witsch GmbH
: 9783462301755
: 1
: CHF 10.00
:
: Politik, Gesellschaft, Wirtschaft
: German
: 592
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Was Kernkraftwerke mit Atombomben zu tun haben - Argumente gegen eine »nukleare Renaissance« Stephanie Cooke lüftet das schmutzige Geheimnis der Atomindustrie: den unlösbaren Zusammenhang zwischen der »friedlichen« und der militärischen Nutzung der Kernenergie. Ihre umfassende und spannend erzählte Geschichte des Nuklearzeitalters - von der Hiroshima-Bombe bis Tschernobyl, von dem Versprechen einer billigen, sauberen Energie bis hin zum Klimaargument der »Brückentechnologie« - zeigt, dass wir uns von der Atomtechnologie verabschieden müssen, wenn wir weitere Katastrophen verhindern wollen.Diese umfassende Geschichte des Nuklearzeitalters, die mit dem von L. Robert Oppenheimer geleiteten Manhattan-Projekt einsetzt, mit dem die USA während des Zweiten Weltkriegs die Atombombe entwickelten, erscheint zur rechten Zeit. Zum einen wachsen heute die Sorgen vor einer weiteren Verbreitung von Atomwaffen - Stichwort Iran -, andererseits wird einer »nuklearen Renaissance« das Wort geredet, die im Kampf gegen den Klimawandel vonnöten sei. Zu Beginn dieses sonderbaren Zeitalters, dessen skurrile und abgründige Seiten Cooke intensiv beleuchtet, wollte man glauben, dass die Atombombe Kriege für immer verhindern würde. Und es herrschte ein naiver Fortschrittsglaube an eine saubere, billige und ewig zur Verfügung stehende Energiequelle. Was Politiker, Militärs und Energiekonzerne stets verschwiegen: Bombe und Akw sind siamesische Zwillinge, und die Propaganda für »sauberen« Atomstrom war stets auch dem Streben nach waffenfähigem Spaltmaterial geschuldet. Keines der Probleme, die mit dieser Technologie verbunden sind, ist gelöst: Die Endlagerfrage für hochradioaktiven Atommüll ist weltweit nicht beantwortet, die Sicherheit von Akws nicht gewährleistet, und es gibt immer noch Zehntausende von Atomsprengköpfen auf der Welt, die die Menschheit mehrfach auslöschen könnten. Dieses Buch ist ein Appell, die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen.

Stephanie Cooke beschäftigt sich seit den 80er-Jahren mit der Atomindustrie. Zurzeit arbeitet sie für die Energy Intelligence Group und schreibt für das Bulletin of Atomic Scientists. Nach 20 Jahren in London ist sie in die USA zurückgekehrt und lebt mit ihrem Sohn in Kensington, Maryland.

Einführung

ALS ANGEHÖRIGE DER US-LUFTWAFFE am 5. August 1945 die Atombombe »Little Boy« auf eine B-29 verluden, setzten bei Mary Buneman, einer im kalifornischen Berkeley lebenden jungen Britin, die Wehen ein. Auf der Pazifikinsel Tinian, wo die Maschine beladen wurde, fand gerade ein Softball-Spiel statt; der Pilot, Oberstleutnant Paul W. Tibbets, schrieb etwas auf ein Stück Papier, rief einen Schildermaler vom Spielfeld und bat ihn, »›das da‹ auf die Einsatzmaschine zu pinseln, und zwar hübsch groß«. Daraufhin malte dieser mit dicken Lettern »Enola Gay« auf die stumpfe Nase des Flugzeugs, leicht versetzt direkt unterhalb des Cockpits. Wie immer vor gefährlichen Einsätzen hatte Tibbets sich die Worte seiner Mutter in Erinnerung gerufen: Er müsse nicht befürchten, wegen des heftigen Streits mit dem Vater über seine Berufswahl beim Fliegen umzukommen. Der Name seiner Mutter war Enola Gay.1

Die Besatzung derEnola Gay kam in jener Nacht ebenso wenig zur Ruhe wie Mary Buneman im Berkeley General Hospital. Tibbets und seine Crew traten den gut zweitausend Kilometer langen Flug nach Japan bereits um 2:45 Uhr in der Frühe an. Während ihre Maschine mit Little Boy an Bord im Dunkeln einem Einsatz entgegenflog, dem sofort mehr als siebzigtausend Menschen zum Opfer fallen würden, gebar Mary in Berkeley, wo es noch Sonntagnachmittag war, ihren zweiten Sohn. »Nichts hätte da meinen Gedanken ferner liegen können als das Datum und die Ortszeit in Japan«, bekannte sie später in ihrem Tagebuch.2

Die noch nicht fünfundzwanzigjährige Mary Buneman [ausgesprochen Bune-a-man] lebte schon seit 1943, als ihr Mann Oscar »im gedämpften Ton eines tödlichen Geheimnisses« davon erzählt hatte, mit dem Wissen um das Bombenprojekt. Wenig später sollte das Paar mit dem ersten Sohn aus England in die Vereinigten Staaten umsiedeln, da man den Mathematiker und Physiker Oscar Buneman in Berkeley brauchte – für die Urananreicherung, für die Herstellung des bombentauglichen Materials für den Kern von »Little Boy«.

Die Bombe wurde in 9600 Metern Höhe ausgeklinkt und explodierte 580 Meter über Hiroshima, etwas nordwestlich vom Stadtzentrum. Eine neunzehnjährige Überlebende berichtete später von einer grausigen Szene in der Nähe eines Parks. Sie kam an »einem Haufen verbrannter Körper in einem Wassertank« vorbei, als sie plötzlich ein furchtbarer Anblick entsetzte: »Da stand die verkohlte Leiche einer Frau, im Gehen erstarrt, ein Bein angehoben, ihr Baby fest im Arm.«3

Am 9. August folgte der Abwurf von »Fat Man« über Nagasaki und forderte mindestens weitere vierzigtausend Menschenleben. Im Lauf der nächsten fünf Jahre stieg die Gesamtzahl der Opfer beider Atombomben auf mehr als zweihundertfünfzigtausend an.4

Im Krankenhaus von Berkeley trafen – neben den erschreckenden Nachrichten aus Japan – Blumen und Geschenke ein. Mary teilte sich ihr Zimmer mit einer Venezolanerin namens Mercedes, die wenige Stunden nach der Geburt von Marys Sohn ein Mädchen zur Welt gebracht hatte. Si