: Constanze Neumann
: Der Himmel über Palermo
: Aufbau Verlag
: 9783841227959
: 1
: CHF 3.30
:
: Historische Romane und Erzählungen
: German
: 223
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB

Eine junge Frau entdeckt die Liebe - und eine fremde, aufregende Welt.

Palermo, 1881: Richard Wagner reist mit der ganzen Familie nach Sizilien. Auch seine Stieftochter Blandine von Bülow ist dabei. Während Wagner sich zuückzieht, um den »Parsifal« zu vollenden, nehmen die anderen am gesellschatlichen Leben teil. Vor allem Blandine sorgt für Aufsehen - und erliegt selbst dem Zauber der alten, prächtigen Palazzi, der prunkvollen Feste und einer Landschaft, die keinen Winter kennt. Auf einem Ball in der Silvesternacht begegnet sie Graf Biagio Gravina, Spross einer der ältesten Adelsfamilien der Insel, der ihr schon bald den Hof macht. Könnte sie ihr Glück finden in dieser fremden, exotischen Welt?



Constanze Neumann, geboren in Leipzig, hat mehrere Jahre auf Sizilien gelebt und unter anderen Valeria Parrella, Andrej Longo und Simona Vinci aus dem Italienischen übersetzt.

1
Die Toten


November 1897

Chi ti portaru i morti?

Rau klingt die Stimme des Verkäufers, fremd, als stammte sie aus einer anderen Welt. Weitere Rufe stimmen ein, ein heiseres Krächzen, das sich mit dem dichten Rauch mischt, der über die große Piazza treibt. Es riecht nach Maronen, gegrilltem Fleisch, gebrannten Mandeln, ein schwerer Duft, der den Gestank doch nur überlagert, der aus den engen Seitengässchen der Piazza dringt, aus den Eingeweiden der Stadt Palermo und einer Dunkelheit, die immer feucht ist, ein klammes, schmutziges Tuch, das an der Haut haftet.

Chi ti portaru i morti?

Was haben dir die Toten gebracht?

Blandine Gräfin Gravina zieht den Vorhang vor das Fenster der Kutsche, die sich ihren Weg über die Piazza Santa Teresa zum Stadttor Porta Nuova bahnt. Durch einen Spalt zwischen den staubigen Stoffbahnen sieht sie das Gesicht eines Verkäufers, es ist braun gebrannt, zerfurcht, der Mund, aus dem ein paar schiefe Zähne ragen, ist aufgerissen. Der Mann starrt sie an und lacht, hält eine der bunten Zuckerpuppen hoch, einen Paladin mit Rüstung und Säbel. Schild und Helm sind bunt, die schwarzen Augen puppenstarr, darunter ein blutroter Mund mit schwarzem Schnurrbart. Der Verkäufer schlägt mit seiner schmutzigen Faust gegen das Fenster der Kutsche, er streckt ihr den Paladin entgegen, dann zeigt er auf seinen Stand, auf dem Berge von bunten Zuckerpuppen liegen, Ritter zu Pferde, Edelfräulein und Prinzessinnen mit gelbem Haar und blauen Augen, dazu billiges Spielzeug, kleine sizilianische Karren, Tonpfeifen, Kasperlefiguren, auch sie schreiend bunt. Endlich sind sie an seinem Stand vorbeigefahren, Blandine atmet auf.

Chi ti portaru i morti?

Sie schließt die Augen und drückt sich in das lederne Sitzpolster, aber das grobe Gesicht des Verkäufers hat sich ihr eingebrannt, sein Grinsen, die schiefen gelben Zähne.

U pupu cu l’anchi torti!

Eine hinkende Puppe!

Die Stimmen der Kinder, die den Händlern antworten, klingen schrill. Sie sind aufgeregt und gierig, ihre Schreie gleichen denen der Möwen, die vom Meer heraufgeflogen sind und nach Müll tauchen, sie stürzen sich aus dem blauen Novemberhimmel hinab und wühlen im Unrat, der sich überall auf der Piazza türmt, unter den Ständen, an den Ecken, an den Stämmen der hohen Palmen.

Mit einem Ruck kommt die Kutsche zum Stehen, und Blandine öffnet die Augen. Sie hört den Kutscher fluchen, ein paar Kinder stieben kreischend auseinander, sie sind nicht zu bändigen an diesem Tag, an dem die Toten ihnen Geschenke bringen. Sie müssen sie nur auf den Friedhöfen an den Familiengräbern abholen. Alle – ob reich oder arm – tafeln an den G