: Keigo Higashino
: Kleine Wunder um Mitternacht Roman
: Limes
: 9783641242787
: 1
: CHF 5.30
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 416
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Drei junge Einbrecher, die eine Nacht lang untertauchen müssen. Ein verlassener Laden, der aus der Zeit gefallen ist. Ein alter Mann, der mit Briefen das Schicksal der Menschen zum Guten wendet ... Der neue Roman des japanischen Bestsellerautors!
Es ist kurz vor Mitternacht, als drei junge Einbrecher in einen verlassenen Gemischtwarenladen eindringen, um nach ihrem Raubzug unterzutauchen. Doch Atsuya, Shota und Kohei wird keine ruhige Stunde bis zum Morgengrauen gewährt: Ein Brief wird von außen durch einen Schlitz in den Laden geworfen, obwohl in der Dunkelheit vor der Tür kein Mensch zu sehen ist. Als ihn die erstaunten Kleinkriminellen öffnen, beginnt eine unglaubliche Geschichte, die eine Nacht lang das Leben unzähliger Menschen verändern wird - und eigentlich begann sie vor über dreißig Jahren, als ein weiser alter Mann mit seinen Worten kleine Wunder vollbringen konnte.

Keigo Higashino wurde 1958 in Osaka, Japan geboren. Nach seinem Studium an der Osaka Prefecture University und einer Tätigkeit als Ingenieur begann er, Kriminalromane zu schreiben - und zwar mit sensationellem Erfolg. Seine Bücher über den Physikprofessor Yukawa wurden international millionenfach verkauft, für Kino und Fernsehen adaptiert sowie mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Mit »Kleine Wunder um Mitternacht« hat sich Higashino zur Gänze neu erfunden und legt einen raffiniert konzipierten und tief berührenden Roman vor. Er lebt zurückgezogen in Tokio.

KAPITEL 2

Midnight Blues

1.

Am Besucherschalter stand ein dünner Mann weit über sechzig. Im letzten Jahr war er noch nicht hier gewesen. Wahrscheinlich hatte er sein ganzes Leben lang in der Stadt gearbeitet, nur um in Rente zu gehen und dann hier weiterzuarbeiten.

Katsuro war unbehaglich zumute. Er nannte dem Mann seinen Namen.

»Katsuro wer?«, fragte der Mann nicht überraschend.

»Katsuro Matsuoka. Ich soll hier ein Konzert geben.«

»Konzert?«

»Wegen Heiligabend …«

»Ach so, die Weihnachtsfeier?« Der Mann reimte es sich zusammen. »Ich hatte gehört, dass es eine musikalische Darbietung geben soll, aber ich dachte, es wäre eine Band. Nur Sie also, was?«

»Äh, Verzeihung«, entschuldigte er sich reflexhaft.

»Einen Moment bitte.«

Der Mann nahm den Hörer ab und wählte eine Nummer. Er wechselte einige Worte mit dem Menschen am anderen Ende der Leitung und teilte Katsuro mit: »Es holt Sie gleich jemand ab.«

Eine Frau mit Brille kam den Flur herunter, um ihn zu empfangen. An ihr Gesicht erinnerte er sich, sie hatte die Feier im letzten Jahr organisiert. Sie schien ihn ebenfalls zu erkennen und begrüßte ihn mit einem Lächeln. »Herzlich willkommen.«

»Danke, dass Sie mich wieder eingeladen haben«, sagte Katsuro.

»Aber gern doch.«

Sie führte ihn in ein mit einigen Stühlen und einem Tisch ausgestattetes Wartezimmer.

»Sie haben vierzig Minuten. Würde es Ihnen etwas ausmachen, die Lieder selbst auszusuchen, wie letztes Jahr?«

»Überhaupt nicht. Ich werde hauptsächlich Weihnachtsmusik spielen. Und ein oder zwei Eigenkompositionen.«

»Interessant.« Die Frau lächelte unergründlich, als wollte sie die Bedeutung von »Eigenkompositionen« erspüren.

Es blieb noch etwas Zeit, bevor er auf die Bühne musste. Katsuro saß im Wartezimmer. Auf dem Tisch standen eine Flasche Tee und ein Pappbecher. Er trank einen Schluck.

Da er im letzten Jahr schon das Weihnachtskonzert gespielt hatte, war dies sein zweiter Besuch in Marukoen, einem Kinderheim in den Bergen außerhalb Tokios. Der vierstöckige Bau aus Stahlbeton in einem Wäldchen bestand aus Wohnräumen, einem Speisesaal, Badezimmern sowie diversen Freizeitanlagen und wurde von Kindern vom Säuglingsalter bis zur Volljährigkeit gemeinschaftlich bewohnt. Mittlerweile war Katsuro in vielen dieser Einrichtungen gewesen. Marukoen gehörte zu den größeren.

Er nahm seine Gitarre, stimmte noch ein letztes Mal nach und sang ein paar Töne. Alles klar. Er war bereit für seinen Auftritt.

Die Frau mit der Brille kehrte zurück und sagte, es sei so weit. Katsuro trank noch einen Becher kalten Tee und erhob sich dann von seinem Stuhl.

Die Feier wurde in der Turnhalle abgehalten. Die Kinder saßen aufrecht auf in mehreren Reihen aufgestellten Klappstühlen. Die meisten