1 Zelda
Eine blonde Perücke überdeckt meine leuchtend pinken Haare. Meine Sommersprossen sind unter einer dicken Schicht Make-up verschwunden. Ich habe meine Fingernägel in einem konservativen Dunkelrot lackiert und einen farblich passenden Lippenstift verwendet. Allerdings ist der Großteil der Farbe in einem Kosmetiktuch gelandet, damit ich nicht zu puppenhaft aussehe. Mit etwas Rouge belebe ich meinen vollkommen ebenmäßigen Teint. Jedes Mal erscheint es mir wieder seltsam, meine natürliche Gesichtsfärbung zu überschminken, um mir danach künstliche Röte aufzumalen.
Die junge Frau, die mir aus dem Spiegel entgegenblickt, hat mit dem Mädchen, das ich bis vor zwanzig Minuten war, nicht mehr viel zu tun. Perfekt. Wenn ich jetzt noch meine Persönlichkeit überschminken könnte, wäre ich der absolute Traum meiner Mutter.
Vorsichtig öffne ich die Badezimmertür. Ich will um jeden Preis vermeiden, dass mich einer meiner Mitbewohner so sieht. Die Luft ist rein, und ich husche schnell in mein Zimmer. Auf dem Bett liegt bereits das dunkelgraue Kleid, das vor ein paar Tagen mit der Post geliefert wurde und vermutlich ein kleines Vermögen gekostet hat. Das Oberteil ist aus Spitze und betont meine eher zierliche Figur, während der ausladende Tüllrock meine Beine noch dünner wirken lässt, als sie ohnehin schon sind. Ich entledige mich meines Bademantels, schlüpfe von unten in das Kleid hinein und zupfe es zurecht. Mit der rechten Hand schiebe ich den Reißverschluss am Rücken so weit hoch, bis ich mit der linken Hand von oben drankomme und ihn ganz schließen kann. Es wäre leichter, Leon oder Arush um Hilfe zu bitten, aber dieser ganze Aufzug ist mir viel zu peinlich.
Die farblich passenden Wildlederpumps, die zusammen mit dem Kleid angekommen sind, packe ich in meine Handtasche. Jede Minute, die ich meine Füße nicht damit malträtieren muss, ist ein Geschenk. Ich schlüpfe in meine Sneakers, ziehe mir einen schwarzen Blazer über und schleiche mich aus meinem Zimmer. Von der Kommode im Flur schnappe ich mir meinen Schlüssel, den ich zu den Pumps in meine Tasche fallen lasse. Als ich schon beinahe aus der Tür bin, rufe ich schnell ein »Tschüss, Jungs, bis morgen« in die Wohnung. Ohne eine Antwort abzuwarten, ziehe ich die Tür hinter mir zu.
Von Pearley, wo ich studiere, ist es eine einstündige Autofahrt nach Paloma Bay. Das Haus meiner Eltern liegt hinter dem idyllischen Badeort auf einem Hügel. Von dort hat man an klaren Tagen einen traumhaften Blick über die Bucht – eines der beliebtesten Motive auf den Postkarten, die jedes Jahr von Unmengen Touristen ins ganze Land geschickt werden.
Auf der Hinfahrt verzichte ich immer darauf, Musik zu hören, um mich in die richtige geistige Verfassung zu bringen. Das bedeutet: Ich male mir das Schlimmste aus, was an diesem Abend eintreten kann. Ich stelle mir die Situation plastisch vor. Ein uninteressanter Schleimbolzen in perfekt sitzendem Anzug versucht, meinen Eltern in den Allerwertesten zu kriechen, während er mir gleichzeitig durch seine erbärmlichen Fummelversuche unter dem Tisch zeigt, dass er keinerlei Respekt vor Frauen im Allgemeinen und vor mir im Besonderen hat. Wenn ich dann diese Vorstellung potenziere, weiß ich ungefähr, was mich erwartet.
Wäre ich nicht finanziell von meinen Eltern abhängig, hätten sie mich nicht komplett im Griff, würde ich mir diesen ganzen Käse gar nicht geben. Aber zu studieren ist teuer. Und die Studienzeit ist meine letzte Chance, ich selbst zu sein. Deshalb lasse ich mich beinahe jedes Wochenende von meinen Eltern in diese demütigende Rolle drängen, im Gegenzug für ein wenig Freiheit.
Ich nehme die Straße, die mich durch Paloma Bay führt, auch wenn die Umgehungsstraße mich schneller ans Ziel bringen würde. Allerdings steht ein frühes Ankommen ganz weit unten auf meiner Prioritätenliste. Ich fahre gern durch die kleine Stadt, in der ich aufgewachsen bin. Hier laufen die Uhren langsamer. Wenn es einen Ort der Entschleunigung gibt, dann ist es Paloma Bay. Neben Hotels in modernen Glaspalästen, vor denen Limousinen auf Gäste warten, gibt es hier vor allem hübsche kleine Strandbars und edle Fischrestaurants, deren Terrassen hinter der palmengesäumten Straße einen direkten Blick auf den Strand bieten. Die Hälfte davon gehört vermutlich meinen Eltern. Die Saison hat noch nicht angefangen, obwohl hier, direkt am Meer, eigentlich das ganze Jahr über angenehme Temperaturen herrschen. Die Promenade ist kaum bevölkert, und die Strandbäder – eine der sinnlosesten Erfindungen überhaupt – haben noch nicht einmal geöffnet. Denn nur Touristen zahlen in dieser Gegend Geld, um im Meer schwimmen zu gehen.
Gleich hinter dem Ortsausgang biege ich ab und folge einer schmalen Straße, die sich den Paloma Hill hinaufschlängelt. Hier und da sind beeindru