1. Kapitel
Flensburger Förde, Deutschland
Das Wetter hatte umgeschlagen, und schiefergraue Wolken hatten das Blau vom Himmel gewischt. Die Ostsee war rau und aufgewühlt, die Sicht schlecht, dazu kamen Starkwind und Dauerregen.
Trotzdem hatten die Firmenbosse der Sønderjylland Bank entschieden, dass ihr alljährliches Kundenevent, ein Segeltörn auf dem TraditionsseglerValeria im Vorfeld der Flensburger Fördewoche, stattfinden sollte. So wie in den vergangenen zweiunddreißig Jahren auch.
Jetzt hing dieValeria schief im Wind, kräftige Böen trieben die Geschwindigkeit auf über zehn Knoten, und die Crew hatte alle Hände voll zu tun, die Segel zu reffen und alles Bewegliche an Deck gegen das Verrutschen zu sichern.
Marie Jansens Magen rebellierte, und sie verfluchte die Entscheidung ihrer Vorgesetzten. In ihren Augen hätte man den Segeltörn absagen müssen. Doch natürlich hörte niemand in der Chefetage auf eine kleine Angestellte.
»Lieber ein büschen Wind als Flaute«, hatte Bankdirektor Henrik Bo Christensen mit dänischem Akzent und gut gelaunt zu Beginn des Törns gesagt.
Darüber hinaus war auch die Stimmung an Bord derValeria ausgesprochen heiter, und die rund vierzig Personen, von denen sich die meisten mittlerweile unter Deck aufhielten, waren im Gegensatz zu ihr offensichtlich seefest. Neben der sechsköpfigen Crew, den Mitarbeitern der Bank und dem Servicepersonal war unter den Gästen vom erfolgreichen Jungunternehmer über Top-Manager und Wirtschaftsgrößen bis hin zur Generation Erben so ziemlich alles vertreten, was Rang und Namen hatte. Sogar ein Fregattenkapitän und eine dänische Segler-Legende befanden sich mit an Bord. Das brachte der Bank jede Menge positiver Publicity, auf die niemand verzichten wollte. Lediglich vier Kunden hatten im Vorfeld ihre Teilnahme aufgrund der schlechten Wetterprognose abgesagt, zwei weitere fehlten aus anderen Gründen.
Maries Magen beruhigte sich. Gischt spülte über die Reling an Deck und benetzte ihr Gesicht. Sie sah, wie eine Frau die Treppe vom unteren Deck hochkam. Blonde Haare lugten seitlich unter der Kapuze ihrer weißen Segeljacke hervor. Katrine Madsen von der Hauptniederlassung in Aabenraa. Die Anführerin, wie Marie sie im Stillen immer nannte. Sie hielt mit der Hand ihre Kapuze fest, die der Wind herunterzuwehen drohte, und ging zum Bug des Schiffes, wo sich noch ein paar Kunden aufhielten. Einige filmten das Wellenspektakel mit ihren Handykameras, ein Seegang, den man in der Flensburger Außenförde nur selten sah.
DieValeria bekam erneut leichte Schlagseite. Der Boden unter Maries Füßen schwankte, und sie hielt sich an der Reling fest. Eine neue Welle der Übelkeit erfasste sie, und sie verfluchte sich innerlich, dieses Schiff je betreten zu haben. Sie atmete mehrmals tief durch. Als sie sich halbwegs besser fühlte, beschloss sie, unter Deck zu gehen.
Die Kajüte, die von allen nur der Salon genannt wurde, war holzvertäfelt und mit urigen Sitznischen und Messinglampen ausgestattet. Es herrschte lautes Stimmengewirr. Die Luft war feucht und stickig, es roch nach Schweiß und Alkohol. Fast alle Plätze waren belegt.
Thomas Pedersen, der aalglatte Leiter der Private-Banking-Abteilung, stieß gerade mit dem jungen, schmucken Yachtmakler Peer Landgraf mit einem Glas Prosecco an, während Andre Hoppstädter vom Investmentcenter den Kopf mit dem Bauunternehmer Bertram Kaminski zusammensteckte. Ihren ernsten Mienen nach zu urteilen, sprachen sie übers Geschäft. Daneben saß Frau Kaminski mit bleichem Gesicht und starrte auf einen imaginären Punkt auf der Tischplatte. Offenbar war Marie doch nicht die Einzige, die mit Übelkeit kämpfte.
Eine junge Frau vom Catering kam aus der Kombüse und balancierte eine Platte mit Fischbrötchen von Tisch zu Tisch, während ihr Kollege hinter einem schmalen Tresen Bier an die Gäste ausschenkte.
Ein weiteres Schw