KAPITEL EINS
Als der schmale Bug des Bootes an die steinernen Stufen am Rand des Kanals stieß, wünschte ich, ich wäre zu Fuß gegangen oder hätte ein Boot gemietet, statt mein eigenes zu nehmen. Der Ruderer war verpflichtet, La Contessa zu berichten, dass ihre Tochter an einem schmutzigen kleinen Anleger in einer zwielichtigen Ecke der Unschlitte, dem ärmsten Viertel der Stadt Raverra, von Bord gegangen war.
Doch bis meine Mutter irgendetwas davon zu hören bekäme, hätte ich das Buch bereits.
»Ja, danke. Genau hier.«
Der Ruderer enthielt sich jeglichen Kommentars, als er das Boot ausbalancierte, aber seine Augenbrauen offenbarten tiefen Zweifel.
Ich hatte einen Herrenmantel und Hosen angezogen, um in dieser schäbigen Umgebung weniger aufzufallen, und jetzt war ich froh, nicht riskieren zu müssen, Röcke durch das trübe Wasser zu ziehen, als ich aus dem Boot kletterte. Abfälle dümpelten in dem Kanal, und in der Luft hing mehr als nur der salzige Geruch des Meeres.
»Soll ich hier warten, gnädige Frau?«
»Nein, schon gut.« Je weniger meine Mutter über diesen Ausflug erfuhr, desto besser.
Sie hatte mir nicht direkt verboten, den Pfandleiher aufzusuchen, der behauptete, im Besitz einer Ausgabe von MuscatisGrundlagen der Artefaktion zu sein, aber sie hatte ihre Ansichten in Hinblick auf solch eine Exkursion deutlich gemacht. Und niemand widersetzte sich einfach so La Contessa Lissandra Cornaro. Ihr Wort war der Widerhall der Macht in jedem ummauerten Garten und jeder vergessenen Piazza in Raverra.
Ein Muscati wiederum war aber auch nichts, was man einfach so überging. Von dem Werk existierten nur zwölf bekannte Ausgaben. Sollte diese sich als echt erweisen, so wäre es die dreizehnte.
Während ich am Kanal entlangging, kamen mir die Warnungen meiner Mutter albern vor. Sonnenbeschienene Fassaden flankierten das grünliche Wasser, und auf den am Ufer vertäuten Booten waren Arbeiter dabei, die Fracht, bestehend aus Erzeugnissen vom Festland, zu löschen. An einem so strahlenden, friedlichen Nachmittag lauerten doch gewiss keine Gefahren.
Doch als mich mein Weg vom Kanal wegführte, hinein in einen schattigen Tunnel, der geradewegs durch ein Gebäude verlief, zögerte ich. Plötzlich fiel es mir ziemlich leicht, mir vorzustellen, dass jenseits dieses dunklen Durchgangs Attentäter oder Entführer lauern mochten. Es wäre nicht das erste Mal in den achtzehn Lebensjahren als Erbtochter meiner Mutter, dass ich mit dem einen oder anderen konfrontiert wurde.
Das Buch, ermahnte ich mich. Denk an das Buch.
Ich trat in den Schlund des Tunnels und kam in einer Straße wieder hinaus, die zu schmal war, um je im Sonnenschein zu liegen. Die wenigen Leute, die mir begegneten, bedachten