: Theresa Hannig
: Die Unvollkommenen Roman
: Verlagsgruppe Lübbe GmbH& Co. KG
: 9783732573806
: 1
: CHF 5.70
:
: Science Fiction
: German
: 400
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB

Bundesrepublik Europa, 2057: Es herrscht Frieden in der Optimalwohlökonomie, einem lückenlosen Überwachungssystem, in dem mithilfe von Kameras, Linsen und Chips alles erfasst und gespeichert wird. Menschen und hochentwickelte Roboter sollen Seite an Seite leben. Störenfriede werden weggesperrt.

So auch die Systemkritikerin Lila. Als sie im Gefängnis aus einem künstlichen Koma erwacht, stellt sie fest, dass ihr schlimmster Albtraum wahr geworden ist: Die BEU wird von einer KI regiert. Samson Freitag wird als Gottkönig verehrt und erpresst von den Bürgern optimalkonformes Verhalten. Für Lila steht fest, dass sie Samsons Herrschaft und die Entmündigung der Menschen beenden muss. Ihr gelingt die Flucht, doch Samson spürt sie auf und bietet ihr einen Deal an, den Lila nicht ausschlagen kann ...



Theresa Hannig, 1984 geboren, studierte Politikwissenschaft, Philosophie und VWL und arbeitete als Softwareentwicklerin, Beraterin für IT-Sicherheit und als Projektmanagerin von Solaranlagen. Mit ihrem Debütroman Die Optimierer gewann sie den Stefan-Lübbe-Preis 2016 und den Seraph 2018 für das beste Debüt. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in der Nähe von München.

2. KAPITEL


Das Aufwachen war so beliebig wie das Einschlafen. Lila wusste noch gar nicht, dass sie bei Bewusstsein war, da hatte sie schon einige Kilometer aus dem Fenster gestarrt.

Blaue Himmelflecken zwischen Nebelschwaden, vorbeifliegende weiße Vierecke. Häuser oder Lastwagen. Baumkronen mit bunt geschecktem Laub, leuchtend gelbe Birkenblätter, die durch die Luft tanzten. Es war ein goldener Oktober, manche Bäume brannten geradezu in der Abendsonne. Über diesen Gedanken stolperte sie. Die Bäume waren so voller Saft, sie konnten gar nicht brennen.

Nur mit Mühe lenkte sie den Blick vom leuchtenden Fenster in die Dunkelheit, die sie umgab. Sie befand sich in einem kleinen grauen Kasten, dessen Wände kaum mehr als eine Armlänge voneinander entfernt waren und der sich im Rhythmus der vorbeiziehenden Bäume bewegte. Sie saß angeschnallt in einem Sitz. Rechts neben ihr war der Platz am Fenster frei. Ihr gegenüber gab es noch eine Sitzreihe, ebenfalls leer.

Lilas Nase juckte, sie wollte sich kratzen, kam aber nicht weit, denn ihre Hände waren mit Handschellen gefesselt und diese wiederum mit einem unnachgiebigen Kunststoffband an einer Metallöse im Boden befestigt. So konnte sie die Hände nur ein paar Zentimeter in alle Richtungen bewegen und legte sie schließlich wieder auf ihren Beinen ab, die in grauem Jeansstoff steckten. Dazu trug sie einen leuchtend roten Pullover. Sie konnte sich nicht erinnern, auch nur eines dieser Kleidungsstücke angezogen zu haben. Die Jeans roch nach fremdem Waschmittel und ein wenig säuerlich, wie nach alten Mottenkugeln.

Das Fahrzeug wurde langsamer und kam zum Stehen. Lila blickte aus dem Fenster, sah blauen Himmel zwischen dunklen Baumkronen. Zwei Stimmen drangen von draußen herein, dann Türenknallen, näher kommende Schritte. Endlich wurde hinter ihr eine Tür geöffnet, woraufhin helles Tageslicht ihren kleinen Kasten flutete.

»Wir sind da. Ich werde Sie jetzt losbinden. Wenn Sie meinen Anweisungen folgen, können wir Ihnen bald die Handschellen abnehmen. Wenn nicht, dann nicht. Haben Sie das verstanden?«

Lila drehte den Kopf, doch sie konnte nicht sehen, wer da sprach. War es ein Mann oder ein Roboter?

»Haben Sie mich verstanden?«, fragte die Stimme wieder, diesmal etwas strenger.

»Ja«, sagte Lila.

Die Gestalt stieg ein, beugte sich über sie und öffnete den Gurt und das Kunststoffband an den Handschellen. Dann griff sie Lila sanft, aber bestimmt am Oberarm und führte sie mit sich aus dem Wagen.

Die Sonne blendete so sehr, dass Lila halb blind von der Ladefläche sprang. Ihr Bewacher verfestigte seinen Griff um ihren Arm und bewahrte sie so vor einem Sturz, denn auch ihre Füße waren mit Fesseln versehen. Wie ein Schwerverbrecher, dachte Lila.

Doch es war kein Gefängnistor, vor dem sie stand, und auch kein Portal zu einem dunklen Verlies. Stattdessen erhob sich vor ihr der Eingang einer großen weißen Villa mit feinen Stuckornamenten, halbrunden mannshohen Fenstern und einem von dorischen Säulen gestützten Galabalkon. Auf der linken S