Berlin
»Dr. Wahlmann, Telefon für Sie.«
»Ich kann jetzt nicht«, gab ich zurück und winkte unwillig, während der riesige Kartäuserkater namens Hannibal unbeirrt weiterfauchte. Er hatte sich, nachdem es ihm geglückt war, vom Behandlungstisch zu hüpfen, bevor ich ihm die Spritze zur Narkoseeinleitung hätte geben können, unter das Waschbecken verzogen und saß jetzt mit drohend erhobener Pfote zwischen zwei Rolltischen, die Augen zu gefährlich schmalen Schlitzen gezogen.
»Es ist wieder Ihre Mutter«, sagte Lydia, die Tierarzthelferin, nun etwas lauter, und ich sah auf. In der Hand hielt sie das Mobilteil der Praxistelefonanlage.
»Ich bin gerade beschäftigt. Sagen Sie ihr noch mal, ich rufe zurück, und ich könnte für die sechste Zahnreinigung heute hier etwas Hilfe gebrauchen.« In meinen Ton hatte sich Verzweiflung geschlichen und vielleicht auch ein wenig Ungeduld, und das tat mir leid, denn ich mochte Lydia sehr gern, und sie konnte nichts, aber auch rein gar dafür, dass ich Zahnreinigungen wie am Fließband durchführte. Und für meine Mutter konnte sie auch nichts.
Fakt war jedoch, dass ich mit meinen Nerven ziemlich am Ende war. Lange nach meinem eigentlichen Feierabend gegen sechs Uhr hockte ich auf allen vieren wieder einmal vor einem Tier, für das ich in diesem Augenblick der größte Feind war, und nein, so hatte ich mir mein Leben nicht vorgestellt.
Wie war ich hier gleich gelandet? Wäre mein Leben ein Film, das Bild würde jetzt ein bisschen verschwimmen und es käme eine Rückblende zu dem Tag, an dem ich mich enthusiastisch und voller Tatendrang zwei Jahre nach dem Studium beiVier Pfoten vorgestellt hatte.Vier Pfoten – die Tierärzte mit Herz. Puh. Nach der kleinen Wald- und Wiesenpraxis, in der ich nach dem Studium erste Erfahrungen gesammelt hatte, hatte ich ganz groß durchstarten wollen.
In Wahrheit – das hatte ich in den letzten zwei Jahren herausgefunden – warVier Pfoten in erster Linie eine Kette mit Filialen über ganz Berlin verteilt, die laut Internetauftritt »die Bedürfnisse moderner Tierhalter« im Blick hatte. »Wir bieten Ihnen Öffnungszeiten, die zu Ihrem Leben passen«, priesen sie vollmundig an, was für uns angestellte Tierärzte in erster Linie bedeutete, dass wir Überstunden bis manchmal auch tief in die Nacht machten, um das übliche Programm abzuspulen. Keines der Tiere kannten wir. Wir wurden am Morgen eingeteilt: einer für Kastrationen, der andere für Zahnreinigungen und der Dritte übernahm die Laufkundschaft.
Zwar war das Arbeitskonzept effizient, ging aber auch zulasten der Patientenbeobachtung, geschweige denn einer persönlichen Beziehung zu Tier und Halter.
Ein Hamsterrad.
Doch zurück zu Hannibal. »Lydia, können Sie mir bitte mal die Decke aus dem Schrank geben?«
Mit der freien Hand griff Lydia nach der schweren, grauen Wollde