: Josef Haslinger
: Mein Fall
: S. Fischer Verlag GmbH
: 9783104912103
: 1
: CHF 13.00
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 144
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
»Nie habe ich von Pater G. erzählt, aus Angst, man könne mir anmerken, dass ich sein Kind geblieben bin.« »Meine Eltern hatten mich der Gemeinschaft der Padres anvertraut, weil mich dort das Beste, das selbst sie mir nicht geben konnten, erwarten würde. Ich habe sie heimlich oft verflucht, weil sie mich nicht darauf vorbereitet hatten, was dieses Beste sei ...« Als Zehnjähriger wurde Josef Haslinger Schüler des Sängerknabenkonvikts Stift Zwettl. Er war religiös, sogar davon überzeugt, Priester werden zu wollen, er liebte die Kirche. Seine Liebe wurde von den Padres erwidert. Erst von einem, dann von anderen. Ende Februar 2019 tritt Haslinger vor die Ombudsstelle der Erzdiözese Wien für Opfer von Gewalt und sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche. Dreimal muss er seine Geschichte vor unterschiedlich besetzten Gremien erzählen. Bis der Protokollant ihn schließlich auffordert, die Geschichte doch bitte selbst aufzuschreiben.

Josef Haslinger, 1955 in Zwettl/Niederösterreich geboren, lebt in Wien und Leipzig. Seit 1996 lehrt Haslinger als Professor für literarische Ästhetik am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. 1995 erschien sein Roman ?Opernball?, 2000 ?Das Vaterspiel?, 2006 ?Zugvögel?, 2007 ?Phi Phi Island?. Sein letztes Buch ?Jáchymov? erschien im Herbst 2011. Haslinger erhielt zahlreiche Preise, zuletzt den Preis der Stadt Wien, den Ehrenpreis des österreichischen Buchhandels und den Rheingau Literaturpreis. 2010 war er Mainzer Stadtschreiber.Literaturpreis :Theodor Körner Preis (1980)Österreichisches Staatsstipendium für Literatur (1982)Förderungspreis der Stadt Wien (1984)Stipendium des Deutschen Literaturfonds (1985)Österreichisches Dramatikerstipendium (1988)Elias Canetti-Stipendium der Stadt Wien (1993-94)Stipendium des Deutschen Literaturfonds (1994)Förderungspreis des Landes Niederösterreich für Literatur (1994)Preis der Stadt Wien und Ehrenpreis des österreichischen Buchhandels (2000)Mainzer Stadtschreiber (2010)Rheingau Literatur Preis (2011)

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Nachdem ich jahrelang entschlossen gewesen war, es nicht zu tun, wandte ich mich am25. November2018 an dieUnabhängige Opferschutzanwaltschaft, eineInitiative gegen Missbrauch und Gewalt. Sie war nach dem Bekanntwerden einer Fülle von Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche Österreichs vom Wiener Kardinal Schönborn gegründet worden. Es gibt sie schon seit2010. Ich hatte acht Jahre lang gezögert, vor dieser Institution über die Vorkommnisse in meiner Kindheit auszusagen. Aber nun war ich dazu bereit.

Wer sich auf der Website derUnabhängigen Opferschutzanwaltschaft umsieht, kann leicht in Verwirrung geraten, weil dort noch von einer zweiten Institution, nämlich von derUnabhängigen Opferschutzkommission die Rede ist. Allerdings scheinen beide Institutionen dem gleichen Ziel zu dienen.

Die Unabhängige Opferschutzanwaltschaft und die Unabhängige Opferschutzkommission, so steht da zu lesen,ergreifen und beschließen Maßnahmen und Initiativen – insbesondere auch finanzielle und therapeutische – im Interesse von Betroffenen, die im Kindes- oder Jugendalter Opfer von Missbrauch oder Gewalt durch VertreterInnen und Einrichtungen der katholischen Kirche in Österreich geworden sind. www.opfer-schutz.at

In welchem Verhältnis diese beiden Institutionen zueinander stehen, wird auf der Website folgendermaßen erklärt:Die Unabhängige Opferschutzanwaltschaft wird von Waltraud Klasnic geleitet, die sich bei ihren Aktivitäten auf die Entscheidungen und Empfehlungen der Unabhängigen Opferschutzkommission stützt, deren Vorsitzende sie ist.

 

Waltraud Klasnic, die ehemalige Landeshauptfrau der Steiermark, steht also einer Kommission vor, die für eine andere Institution, die sie ebenfalls leitet, Entscheidungen trifft und Empfehlungen abgibt. So verwirrend mir das einerseits vorkam, so klar war andererseits, wer hier die eigentliche Zuständigkeit für meinen Fall haben musste, nämlich die von den Medien meist alsKlasnic-Kommission bezeichneteUnabhängige Opferschutzkommission, die ja nicht nur aus ihrer Vorsitzenden besteht, sondern, wie es auf der Website weiter heißt,aus angesehenen und fachlich kompetenten Persönlichkeiten vor allem aus den Bereichen Recht, Psychologie, Medizin, Pädagogik und Sozialarbeit.

 

Und dann werden diese Persönlichkeiten aufgezählt. Die Liste beginnt mit Dr. Brigitte Bierlein, der Präsidentin des Verfassungsgerichtshofes. Ihr Eintrag wurde sieben Monate später mit der zusätzlichen Bemerkung versehen, sie habeihre Mitgliedschaft in der Kommission für die Zeit ihrer Tätigkeit als Bundeskanzlerin ruhend gestellt.

Außer Brigitte Bierlein waren noch sechs weitere Persönlichkeiten als Mitglieder derUnabhängigen Opferschutzkommission aufgelistet: Univ.-Prof. Dr. Reinhard Haller, ein Psychiater und Neurologe, Hon.-Prof. Dr. Udo Jesionek, der Präsident der größten Opferhilfsorganisation ›Weißer Ring‹, Mag. Ulla Konrad, die langjährige Präsidentin des Berufsverbandes Österreichischer Psychologinnen und Psychologen, Dr. Werner Leixnering, der einstige Leiter der Abteilung für Jugendpsychiatrie der Landes-Nervenklinik in Linz, Mag. Caroline List, die Präsidentin des Landesgerichts für Strafsachen Graz, sowie Dr. Kurt Scholz, der ehemalige Präsident des Wiener Stadtschulrats und danach der Restitutionsbeauftragte der Stadt Wien.

Als ich mich auf der Website derUnabhängigen Opferschutzkommission umsah, war ich womöglich etwas voreilig. Ich las, dass die Kommissionsmitglieder fürGespräche,rechtliche und psychologische Beratung,generelle Empfehlungen und Vorschläge sowie für dieDokumentation zuständig seien, und wähnte mich an