: Wolfgang Schorlau
: Sommer am Bosporus
: Verlag Kiepenheuer& Witsch GmbH
: 9783462300857
: 1
: CHF 4.00
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 224
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Auf der Suche nach den Geheimnissen des Orients - ein Roman über Istanbul, die Stadt zwischen Abend- und Morgenland Sehnsucht ist die Grundmelodie dieses Romans, und Sehnsucht treibt Andreas Leuchtenberg nach Istanbul, um einer alten, nicht gelebten Liebe nachzuspüren und die Frau wieder zu finden, deren Liebe er vor vielen Jahren zurückwies. Sehin, das türkische Mädchen, das in seiner Straße gewohnt hatte, war eine Prinzessin, sowohl eine Räuberprinzessin als auch eine aus den Märchen von Tausendundeiner Nacht. Er hatte sie verleugnet, als seine Kumpels sie als seine »Kanakenbraut« verhöhnten ... Als Leuchtenberg von Sehins Vater zufällig hört, dass sie inzwischen in Istanbul lebt und dort eine Modenschau organisiert, fliegt er kurz entschlossen an den Bosporus. Er lässt sich durch die Stadt treiben, lernt Alt-Istanbul, den europäischen Teil, kennen und gerät dann in die abgelegeneren orientalischen Stadtviertel. Immer weiter verliert er sich in der geheimnisvollen Atmosphäre dieser Stadt mit ihrer 2500-jährigen Geschichte, erlebt die Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft der Türken, die berühmten Basare und Bauwerke wie die Hagia Sophia und die Blaue Moschee, von denen Sehin ihm früher erzählt hatte ...

Wolfgang Schorlau lebt und arbeitet als freier Autor in Stuttgart. Neben den zehn Dengler-Krimis »Die blaue Liste«, »Das dunkle Schweigen«, »Fremde Wasser«, »Brennende Kälte«, »Das München-Komplott«, »Die letzte Flucht«, »Am zwölften Tag«, »Die schützende Hand«, »Der große Plan« und »Kreuzberg Blues« hat er die Romane »Sommer am Bosporus« und »Rebellen« veröffentlicht - und zusammen mit Claudio Caiolo die Venedig-Krimis um Commissario Morello. 2006 wurde er mit dem Deutschen Krimipreis, 2012 und 2014 mit dem Stuttgarter Krimipreis sowie 2019 mit dem Stuttgarter Ebner-Stolz-Wirtschaftskrimip eis ausgezeichnet.
Inhaltsverzeichnis

Turbulenzen


Vor dem Schalter von Türkisch Airlines stauten sich die Passagiere bis zu dem Kiosk am Ausgang der Halle. Andreas Leuchtenberg holte das Ticket am Info-Deck der Fluggesellschaft ab und stellte sich hinter einen alten Türken mit grauem Bart in die Schlange. Der Mann trug einen braunen gesteppten Anorak, und über den Kopf hatte er eine grüne Pudelmütze gezogen, die besser zu einem Rapper gepasst hätte, wenn sie schwarz gewesen wäre. Hin und wieder, wenn die Schlange aufrückte, schob der Mann seinen Gepäckwagen ein Stück weiter, der überladen war mit fünf alten Koffern, die von grauen Gummibändern notdürftig zusammengehalten wurden. Neben ihm stand eine dicke ältere Frau, deren Vollmondgesicht unter einem hellblauen Kopftuch hervorlugte. Sie trug einen graubraunen Mantel, der sie bis zu den Füßen umschloss wie ein Rundzelt. Die Frau zog ständig ein Handy aus den Weiten dieses Mantels, überprüfte den Eingang neuerSMS, doch die Nachricht, auf die sie wartete, schien nicht einzutreffen.

Die Abfertigung zog sich endlos dahin. Es dauerte über eine Stunde, bis Leuchtenberg endlich im Flugzeug saß, einer zuverlässigen Boeing 737, wie er mit einem Blick durch das Fenster der Gangway feststellte. Er quetschte sich in seinen Sitz am Gang im hinteren Teil der Maschine. Neben ihm auf dem Fenster- und dem Mittelplatz saßen zwei Türkinnen mit schwarzen Kopftüchern. Sie unterhielten sich. Kaum hatte Leuchtenberg sich angeschnallt, drehte sich die Frau auf dem Mittelplatz zu ihm um. Leuchtenberg blickte in ein vom Dunkel des Kopftuches umrahmtes Mondgesicht, ein Eiterpickel leuchtete aus ihrem Mundwinkel. Sie sprach ihn auf Türkisch an.

»Entschuldigung«, sagte er, »ich kann leider kein Türkisch.«

Die Frau sprach schnell weiter, ihre Stimme wurde lauter, schriller und ging schließlich in ein leichtes Kreischen über. Auch die ältere Frau mit Brille auf dem Fensterplatz redete auf ihn ein.

Leuchtenberg versuchte es auf Englisch. Ohne Erfolg. Plötzlich stand ein junger Türke in einer schwarzen Plastikjacke neben ihm und zog an seinem Ärmel. Leuchtenberg verstand nicht, was die drei von ihm wollten, und war froh, als eine Stewardess dazukam und mit den beiden Frauen sprach.

Die Türkinnen steigerten ihre Lautstärke, und die alte Frau am Fenster wies mit dem Finger auf ihn und hob dann händeringend beide Arme in Richtung Flugzeugdecke.

Leuchtenberg dachte, etwas an ihm sei nicht in Ordnung, und prüfte mit einer schnellen Bewegung seinen Hosenschlitz. Er stand nicht offen, aber die beiden Frauen steigerten sofort ihr Lamento, und der junge Türke zerrte ihn schmerzhaft am Arm.

»Die beiden Damen fragen, ob Sie bereit sind, den Platz zu tauschen und sich irgendwo anders hinzusetzen? Sie möchten nicht neben einem unbekannten Mann sitzen.«

Leuchtenberg sah entgeistert die dicke Frau mit dem Mondgesicht und dem Pickel an, die nun schwieg.

»Sagen Sie den Damen«, sagte er zu der Stewardess, »von mir geht keine Gefahr aus. Sie haben nichts zu befürchten.«

Erneutes Übersetzen. Erneutes Lamento.

Eine zweite Stewardess trat hinzu und flüsterte mit ihrer Kollegin. Erneutes Gespräch mit den beiden Frauen.

Leuchtenberg schaute an sich herab. Was stimmte bloß mit ihm nicht? Die Passagiere im hinteren Teil des Flugzeugs starrten ihn an, und auch im vorderen Teil verdrehten einige die Hälse in seine Richtung.

»Wir setzen die beiden Damen nach vorne«, sagte die Stewardess schließlich, »entschuldigen Sie, aber sie möchten nicht neben einem Mann sitzen.«

Leuchtenberg stand auf, die beiden alten Frauen quälten sich aus ihren Sitzen und verschwanden im vorderen Teil der Boeing. Leuchtenberg empfand es beruhigend, dass stattdessen ein Mann, den er auf vierzig schätzte, den Gang entlangkam, der einen Buben hinter sich her zog. Der Junge setzte sich an den Fensterplatz, der Mann, dessen Haar bereits völlig ergraut war, auf den mittleren Sitz. Leuchtenberg schnallte sich erneut an. Der Junge trug e