: Stephen King
: Fairy Tale Roman
: Heyne
: 9783641295486
: 1
: CHF 13.50
:
: Horror
: German
: 912
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Der siebzehnjährige Charlie Reade hat kein leichtes Leben. Seine Mutter starb, als er sieben war, und sein Vater ist dem Alkohol verfallen. Eines Tages offenbart ihm der von allen gemiedene mysteriöse Nachbar auf dem Sterbebett ein Geheimnis, das Charlie schließlich auf eine abenteuerliche Reise in eine andere, fremde Welt führt. Dort treiben mächtige Kreaturen ihr Unwesen. Die unterdrückten Einwohner sehen in Charlie ihren Retter. Aber dazu muss er erst die Prinzessin, die rechtmäßige Gebieterin des fantastischen Märchenreichs, von ihrem grausamen Leiden befreien.

Stephen King, 1947 in Portland, Maine, geboren, ist einer der erfolgreichsten amerikanischen Schriftsteller. Bislang haben sich seine Bücher weltweit über 400 Millionen Mal in mehr als 50 Sprachen verkauft. Für sein Werk bekam er zahlreiche Preise, darunter 2003 den Sonderpreis der National Book Foundation für sein Lebenswerk und 2015 mit dem Edgar Allan Poe Award den bedeutendsten kriminalliterarischen Preis fürMr. Mercedes. 2015 ehrte Präsident Barack Obama ihn zudem mit der National Medal of Arts. 2018 erhielt er den PEN America Literary Service Award für sein Wirken, gegen jedwede Art von Unterdrückung aufzubegehren und die hohen Werte der Humanität zu verteidigen.

Seine Werke erscheinen im Heyne-Verlag.

Kapitel eins

Die verfluchte Brücke. Das Wunder. Das Geheul.

1

Ich bin mir sicher, dass ich diese Geschichte erzählen kann. Sicher bin ich mir allerdings auch, dass niemand sie glauben wird. Das macht nichts. Es reicht mir, sie zu erzählen. Das Problem – das bestimmt viele Schriftsteller haben, nicht nur Frischlinge wie ich – ist nur: Wo anfangen?

Zuerst habe ich an den Schuppen gedacht, weil meine Abenteuer da richtig angefangen haben, aber dann wurde mir klar, dass ich zuerst von Mr. Bowditch erzählen muss und davon, wie wir uns angefreundet haben. Allerdings wäre es ohne das Wunder, das meinem Vater widerfahren ist, nie dazu gekommen. Ein sehr gewöhnliches Wunder, könnte man sagen, eines, das seit 1935 viele Tausend Männer und Frauen erlebt haben, aber als Kind kam es mir wie ein einzigartiges Wunder vor.

Nur ist das auch nicht der richtige Startpunkt, weil mein Vater ohne die verfluchte Brücke wohl kein Wunder gebraucht hätte. Deshalb muss ich dort anfangen, bei der verfluchten Sycamore Street Bridge. Und wenn ich jetzt darüber nachdenke, sehe ich deutlich einen roten Faden, der durch die Jahre zu Mr. Bowditch und dem mit einem Vorhängeschloss gesicherten Schuppen hinter seiner maroden viktorianischen Villa führt.

Ein Faden aber ist leicht zu zerreißen. Also ist es kein Faden, sondern eine Kette. Eine starke. Und ich war der Junge mit der Fessel ums Handgelenk.

2

Der Little Rumple River fließt durch das Nordende von Sentry’s Rest (für Einheimische einfach nur Sentry), und bis 1996, dem Jahr meiner Geburt, wurde er von einer Holzbrücke überspannt. Das war das Jahr, in dem die Inspektoren von der staatlichen Straßenbaubehörde sie begutachtet und für baufällig befunden haben. Die Leute in unserem Teil von Sentry hätten das schon seit 1982 gewusst, meinte mein Vater. Offiziell war die Brücke für ein Gewicht von viereinhalb Tonnen zugelassen, aber wenn die Einheimischen mit einem voll beladenen Pick-up unterwegs waren, mieden sie sie im Normalfall und nahmen stattdessen die Schnellstraße, was ein ebenso nerviger wie zeitraubender Umweg war. Mein Dad sagte, selbst in einem Pkw habe man spüren können, wie die Bohlen unter den Rädern zitterten, bebten und rumpelten. Das Ding war gefährlich, da hatten die Inspektoren durchaus recht, aber genau das ist die Ironie des Schicksals. Wenn man die alte Holzbrücke nämlich nicht durch eine aus Stahl ersetzt hätte, wäre meine Mutter womöglich noch am Leben.

Der Little Rumple River ist tatsächlich klein, weshalb der Bau der neuen Brücke nicht lange dauerte. Nachdem man die hölzerne Struktur abgebrochen hatte, wurde das neue Bauwerk schon im April 1997 für den Verkehr freigegeben.

»Der Bürgermeister hat ein Band durchgeschnitten, Pfarrer Coughlin hat das verfluchte Ding gesegnet, und das war’s«, sagte mein Vater eines Abends. Damals war er ziemlich betrunken. »Für uns war das kein großer Segen, Charlie, was?«

Nach einem Lokalhelden, der in Vietnam gestorben war, erhielt das Ding den Namen