: Wolfgang Schorlau, Claudio Caiolo
: Der freie Hund Commissario Morello ermittelt in Venedig
: Verlag Kiepenheuer& Witsch GmbH
: 9783462320923
: Ein Fall für Commissario Morello
: 1
: CHF 10.00
:
: Krimis, Thriller, Spionage
: German
: 336
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
»Ein atmosphärischer Venedig-Krimi jenseits ausgetretener Klischees.« Buchkultur. Commissario Antonio Morello, genannt »Der freie Hund«, hat in Sizilien korrupte Politiker verhaftet und steht nun auf der Todesliste der Mafia. Um ihn zu schützen, wird er nach Venedig versetzt. Er hasst die Stadt vom ersten Augenblick an. Zu viele Menschen, trübes Wasser, Kreuzfahrtschiffe, die die Luft verpesten und die Stadt gefährden - selbst der Espresso doppio, ohne den er nicht leben kann, schmeckt ihm in Sizilien besser. Doch Venedig ist eine große Verführerin. Als Silvia, die schöne Nachbarin, ihm ihr persönliches, verborgenes Venedig zeigt, werden Morellos Widerstandskräfte auf eine harte Probe gestellt. Da wird der junge Anführer einer Bürgerinitiative gegen die Kreuzfahrtschiffe ermordet, und der freie Hund hat seinen ersten Fall, der ihn tief in die Verstrickungen von italienischer Politik und Verbrechen führt. Wolfgang Schorlau, Erfinder des Privatermittlers Georg Dengler, und Claudio Caiolo, in Sizilien geboren und in Venedig zum Schauspieler ausgebildet, werfen einen neuen Blick auf ein altes italienisches Desaster.

Wolfgang Schorlau lebt und arbeitet als freier Autor in Stuttgart. Neben den zehn Dengler-Krimis »Die blaue Liste«, »Das dunkle Schweigen«, »Fremde Wasser«, »Brennende Kälte«, »Das München-Komplott«, »Die letzte Flucht«, »Am zwölften Tag«, »Die schützende Hand«, »Der große Plan« und »Kreuzberg Blues« hat er die Romane »Sommer am Bosporus« und »Rebellen« veröffentlicht - und zusammen mit Claudio Caiolo die Venedig-Krimis um Commissario Morello. 2006 wurde er mit dem Deutschen Krimipreis, 2012 und 2014 mit dem Stuttgarter Krimipreis sowie 2019 mit dem Stuttgarter Ebner-Stolz-Wirtschaftskrimip eis ausgezeichnet.
Inhaltsverzeichnis

2. Tag


Donnerstag

Kling-dong, kling-dong, kling-dong.

»Vaffanculo alle campane! Diese verfluchten Glocken!«

Morello zieht sich die Decke über den Kopf.

Kling-dong, kling-dong, kling-dong.

Es dauert ein paar Sekunden, bis er begreift, dass die Töne nicht von der Kirche, sondern von seinem Telefon kommen. Er streckt einen Arm unter der Decke hervor. Seine Hand tastet suchend nach dem Schalter der Nachttischlampe. Als er ihn nicht findet, lugt er unter dem Deckenzipfel hervor. Auf dem Nachttisch brummt und lärmt sein Handy und wirft bei jedem Ton einen kleinen blauen Lichtblitz in sein Schlafzimmer. Er zieht es mit geschlossenen Augen unter die Decke und drückt es an sein Ohr.

»Ja, bitte?«

»Commissario, sind Sie es? Hier ist Ferruccio Zolan, Ihr Stellvertreter. Sind Sie wach?«

»Jetzt schon …« Morello richtet sich auf und stützt sich zur Seite auf den freien Arm. »Was gibt’s?«

»Wir haben eine Leiche. Eine Messerstecherei. Im Viertel Cannareggio, am Sotoportego Widmann.«

»Täter?«

»Der Täter ist entkommen. Die Spurensicherung ist alarmiert. Zu Ihnen ist ein Motoscafo unterwegs. Das Boot müsste in wenigen Minuten vor Ihrem Haus an der Brücke sein.«

»Ich komme. Bis gleich.«

Morello wirft die Decke zurück und springt aus dem Bett.

Der Jagdinstinkt treibt ihm Adrenalin durch die Adern.

Werde ein guter Polizist in Venedig. Einem guten Polizisten kann man einen Versetzungsantrag nicht abschlagen.

Als Morello die Holzbrücke am Fondamenta Quintavalle erreicht, ist es 4.30 Uhr. Das Polizeiboot schaukelt bereits am Kai. Blaulicht huscht über die Fassaden der umliegenden Häuser. Der Motor tuckert leise.

Hinter dem Steuerrad steht Alvaro Camozzo und grinst ihn an. Anders als am Tag zuvor wirkt der junge Polizist erstaunlich gut gelaunt. »Buongiorno, Commissario.«

»Buongiorno? Es ist mitten in der Nacht.«

Camozzo reicht ihm die Hand und hilft ihm über die Reling.

»Nehmen Sie das Tau und binden Sie sich fest, Commissario. Am besten am Gürtel. Das ist sicherer.«

»Ich bin schon auf einem Schiff gestanden, da wussten deine Eltern noch nicht, dass sie dich einmal wickeln würden. Fahr los.«

»Es kann Wellengang …«

»Fahr einfach los.«

Der Rumpf erzittert, der Motor brummt jetzt eine Oktave höher, dann legt das Polizeiboot ab. Links blitzt die Straßenbeleuchtung. Alvaro Camozzo steuert das Boot ruhig durch den Kanal in Richtung Lagune. Als sie San Pietro di Castello hinter sich lassen und Morello vor sich nur die undurchdringliche Schwärze der Lagune sieht, deutet Alvaro noch einmal auf den Haltegurt. Morello reagiert mit einer abwehrenden Handbewegung.

Da brüllt das Schnellboot auf und schießt nach vorne. Der Bug bäumt sich auf, Morello wird nach hinten geworfen und greift blitzschnell nach dem Tau.

»Ich hoffe, du siehst mehr als ich«, ruft er.

Alvaro lacht. »Vor drei Jahren habe ich ein Rennen gewonnen. In 55 Minuten eine komplette Runde um Venedig. Das ist Rekord bis heute.«

Morello deutet in die Nacht, die von der Lampe am Bug bestenfalls zwei Meter weit durchdrungen wird. »Aber du siehst doch gar nichts.«

»Ich bin Venezianer. Kenne jeden Kanal, jede Brücke und jede Calle. Vor allem kenne ich die Lagune. An manchen Stellen ist sie tief, an anderen reicht das Wasser nur knapp über den Sand. Dann gibt es kleine, winzige Sandinseln, die man im Dunkeln nicht sehen kann.«

»Ich hoffe, du kennst sie tatsächlich so gut, dass du ohne Sicht wie ein Irrer hier durchrasen kannst.«

»Es gab Zigarettenschmuggler in Venedig. Vor ein paar Jahren.