Prolog - Elanor
Zehn Jahre zuvor …
Der Duft des nahenden Sommers lag in der Luft. Elanor wollte an diesem Tag Einkäufe auf dem Markt erledigen, hatte sich aber aufgrund des schönen Wetters zu einem Spaziergang hinreißen lassen.
»Halt! Wohin des Weges, Grauhaut?«
Ein Dunkelelf stand am oberen Ende der breiten Treppe, die hinab in die Aschegrube führte. Zwei Wachen aus der Oberstadt versperrten ihm den Weg.
Drei Dinge fielen ihr an ihm auf. Zuerst die Ohrringe, die silbern im Sonnenlicht glänzten. Sie zählte insgesamt sieben Stück; drei rechts, vier links. Dann das blinde Auge und die wulstige Narbe auf seiner Wange. Zum Schluss der getrimmte Vollbart. Dunkelelfen waren die einzigen Elfen, die einen anständigen Bartwuchs hatten und sich auch nicht davor scheuten, sich einen stehen zu lassen. Wenn sie bedachte, welchen Aufwand sich ihr Onkel machte, um die geringe Körperbehaarung, die er vorzuweisen hatte, auszumerzen – da war es deutlich einfacher, den Umstand zu akzeptieren. Elanor konnte nicht behaupten, dass sie einen Bart unattraktiv fand.
»Ich will auf den Markt.« Der Dunkelelf zeigte einen Papierfetzen vor.
Die linke Wache, ein Hochelf, griff danach und las skeptisch. »So? Und woher sollen wir wissen, dass du dieses Schreiben nicht gefälscht hast?«
Elanor sah sich prüfend auf der Straße um. Außer ihr nahm niemand Notiz von der Unterhaltung. Sie entfernte sich einige Schritte, um unbemerkt zu bleiben, und tat für die vorbeiziehenden Passanten so, als würde sie etwas in ihrem Korb suchen.
»Gefälscht?«, wiederholte der Dunkelelf und schnaubte. »Natürlich, ein nachvollziehbarer Gedanke. Jeder würde Umbras Zeichen missbrauchen, nur um in Eure kostbare Stadt zu gelangen. Davon abgesehen, denkt Ihr, ich könnte mir Papier und Tinte leisten, geschweige denn dieses Schreiben überhaupt verfassen, wenn ich kein Mitglied der Gilde wäre?«
Elanor schmunzelte und zählte die Silbermünzen in ihrem Geldbeutel. Der Mann gefiel ihr. Er war also ein Assassine. Es war nicht ungewöhnlich, eine Schattenklinge aus der Aschegrube steigen zu sehen. Dieser hier schien gerade nicht im Dienst zu sein, zumindest war er nicht in die charakteristische Kluft gekleidet.
Der Dunkelelf zog den fingerlosen Lederhandschuh von seiner rechten Hand und wies die Tätowierung vor, die lediglich Schattenklingen unter ihrer Haut trugen. Die Wachen tauschten einen Blick.
»Nun«, sagte der Waldelf zur Rechten, »wenn du in die Oberstadt willst, solltest du anständig darum bitten. Auf die Knie, Grauhaut!«
Die linke Wache lachte dreckig. »Ha, genau. Auf die Knie und küss uns die Füße!«
Das Gesicht des Assassinen verfinsterte sich. »Oh nein, in diese Richtung wollt Ihr nicht gehen.«
Elanor war alarmiert. Es sah aus, als könnte die Situation jederzeit kippen, und das konnte nur zum Nachteil des Dunkelelfen ausgehen. Ob Schattenklinge oder nicht, ein Mann allein kam nicht gegen zwei bewaffnete Wachen in schweren Stahlrüstungen an.
Will ich einem Meuchelmörder helfen?, schoss es ihr durch den Kopf.Nicht jeder Dunkelelf verdient es, geschützt zu werden. Dieser hier tötet für Gold. Was, wenn er einen Auftrag verfolgt und ich ihm helfe, zu seinem Opfer zu kommen?
»Macht es Euch leicht und lasst mich durch«, fuhr der Dunkelelf fort. Er sprach betont ruhig, deeskalierend, und suchte den Blick der Wachen. »Ihr wollt eine Schattenklinge nicht verärgern.«
»Willst du mir drohen, Gossenratte?«, knurrte der Hochelf. »Pass auf, was du sagst! Ein falsches Wort und ich lasse dich in Ketten legen und i