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Womöglich finden wir sie nie? Wir hatten das Teleskop auf der Veranda aufgestellt, in einer klaren Herbstnacht ganz am Rand eines der letzten Fleckchen Dunkelheit, die es im Osten der Vereinigten Staaten noch gab. Eine so tiefe Dunkelheit fand man kaum noch, und so viel Dunkelheit gebündelt an einem Ort erhellte den Himmel. Wir schauten mit unserem Rohr durch eine Lücke zwischen den Kronen der Bäume, hoch über dem Dach unserer Ferienhütte. Robin, der durchs Okular geblickt hatte, zog den Kopf zurück – mein trauriger, einzigartiger, demnächst neunjähriger Sohn, immer im Clinch mit dieser Welt.
»Ganz recht«, antwortete ich. »Womöglich finden wir sie nie.«
Ich versuchte immer, ihm die Wahrheit zu sagen, wenn ich sie wusste und es nichts geradewegs Tödliches war. Er merkte es ohnehin sofort, wenn ich log.
Aber die sind überall, stimmt’s? Das habt ihr bewiesen.
»Na ja, nicht gerade bewiesen.«
Vielleicht sind sie zu weit weg. Zu viel leerer Raum oder so was.
Er fuchtelte mit den Armen, wie immer, wenn er mit Worten nicht weiterkam. Außerdem war bald Schlafengehenszeit, auch nicht gerade hilfreich. Ich legte ihm die Hand auf den kastanienbraunen Strubbelschopf. Seine Farbe – die von Aly.
»Und wenn wir nie einen Ton von dort draußen hörten? Was hätte das zu bedeuten?«
Er hielt eine Hand in die Höhe. Alyssa hatte immer gesagt, wenn er angestrengt nachdenke, höre man die Rädchen surren. Er kniff die Augen zusammen, starrte in die schwarze baumbestandene Schlucht unter uns. Mit der anderen Hand rieb er sich die Kerbe in seinem Kinn, Zeichen der Konzentration. Er rieb dermaßen heftig, dass ich ihm die Hand fortziehen musste.
»Robbie. Hey! Komm runter.«
Er streckte die Hand aus, um mich zu beschwichtigen. Alles gut. Er wollte nur noch einen Augenblick mit dieser Frage durchs Dunkel laufen, solange er noch durfte.
Du meinst, wenn wir überhaupt nie etwas von ihnen hören würden?
Ich nickte meinem Wissenschaftler ermutigend zu –nur keine Aufregung. Ende der Sternguckerstunde. Es war ein wunderbar klarer Abend gewesen, dabei galt diese Gegend als regenreich. Dick und rot kam der herbstliche Vollmond über den Horizont. Oberhalb der Baumspitzen, so klar, dass man glaubte, man könne danach greifen, ergoss sich die Milchstraße – unzählige glitzernde Goldkörnchen in der Schwärze eines Bachbetts. Wenn man ganz stillhielt, konnte man beinahe sehen, wie die Sterne über den Himmel zogen.
Das würde überhaupt nichts bedeuten.
Ich lachte. Mindestens einmal am Tag brachte er mich zum Lachen, auch öfter, wenn er in guter Verfassung war. So trotzig. So radikal skeptisch. Genau wie ich. Genau wie sie.
»Stimmt«, pflichtete ich ihm bei. »Überhaupt nichts.«
Aber wenn wir tatsächlicheinen Ton hören würden. Dann wären wir ein Riesenstück weiter!
»Allerdings.« An den folgenden Abenden würde noch Gelegenheit genug sein zu überlegen, was das im Einzelnen für ein Stück war. Jetzt war es Zeit fürs Bett. Noch ein letztes Mal schaute er ins Okular, blickte hinauf zum strahlenden Mittelpunkt des Andromedanebels.
Können wir heute Nacht draußen schlafen, Dad?
Ich hatte ihn für eine Woche aus der Schule genommen und war mit ihm in die Wälder gefahren. Es hatte wieder einmal Ärger mit seinen Klassenkameraden gegeben, wir brauchten ein wenig Abstand. Ich konnte ihn ja schlecht den ganzen Weg bis in die Smokies mitnehmen und ihm dann eine Nacht im Freien verweigern.
Wir gingen nach drinnen und holten die Ausrüstung für unsere Expedition. Der untere Stock war ein einziger großer Raum und duftete wie Kiefernholz mit Speck. Die Küche roch nach feuchten Geschirrtüchern und Mörtel – das Aroma des gemäßigten Regenwalds. An den Schranktüren hingen Zettel mit Hinweisen:Kaffeefilter über dem Kühlschrank. Bitte dieses Geschirr nicht benutzen! Ein grünes Spiralheft mit Anweisungen lag aufgeschlagen auf dem schartigen Eichentisch: Eigenheiten des Abflusses, Standort des Sicherungskastens, Notfalltelef