: Daniel Glattauer
: Die spürst du nicht Roman
: Paul Zsolnay Verlag
: 9783552073531
: 1
: CHF 16.70
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 304
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Der Bestsellerautor Daniel Glattauer lässt in seinem neuen Roman Menschen zu Wort kommen, die keine Stimme haben - ein Sittenbild unserer privilegierten Gesellschaft.
Die Binders und die Strobl-Marineks gönnen sich einen exklusiven Urlaub in der Toskana. Tochter Sophie Luise, 14, durfte gegen die Langeweile ihre Schulfreundin Aayana mitnehmen, ein Flüchtlingskind aus Somalia. Kaum hat man sich mit Prosecco und Antipasti in Ferienlaune gechillt, kommt es zur Katastrophe.
Was ist ein Menschenleben wert? Und jedes gleich viel? Daniel Glattauer packt große Fragen in seinen neuen Roman, den man nicht mehr aus der Hand legen kann und in dem er all sein Können ausspielt: spannende Szenen, starke Dialoge, Sprachwitz. Dabei zeichnet Glattauer ein Sittenbild unserer privilegierten Gesellschaft, entlarvt deren Doppelmoral und leiht jenen seine Stimme, die viel zu selten zu Wort kommen.

Daniel Glattauer, geboren 1960 in Wien, Bücher (u. a.): Die Ameisenzählung (2001), Darum (2003), Der Weihnachtshund (Neuausgabe 2004), Theo (2010), Mama, jetzt nicht! (2011), Ewig Dein (2012), Geschenkt (2014). Mit seinen Romanen Gut gegen Nordwind (2006) und Alle sieben Wellen (2009) schrieb er Bestseller, die auf der ganzen Welt gelesen werden. Die Komödie Die Wunderübung (2014) ist als Buch, am Theater und als Film sehr erfolgreich. Auf der Bühne sind auch die Komödien Vier Stern Stunden und Die Liebe Geld zu sehen. Und 2019 kam die Verfilmung von Gut gegen Nordwind ins Kino. Zuletzt erschien der Roman Die spürst du nicht (2023).

Kapitel ZWEI


Mediale Aufmerksamkeiten


Pressetext: Kurzmeldungen

1. Nach einem Badeunfall in Sankt Gilgen am Wolfgangsee ist ein zwölfjähriges Mädchen aus Würzburg am Mittwoch gestorben. Zuvor wurde das Kind von zwei Badegästen reanimiert und anschließend vom Rettungshubschrauber ins Unfallkrankenhaus Salzburg geflogen.

2. Schon am Samstag vergangener Woche ist, wie jetzt bekannt wurde, die vierzehnjährige Tochter einer im Urlaub befindlichen Familie aus Wien in einem Swimmingpool einer Villa bei Castagneto Carducci in der italienischen Toskana auf tragische Weise ums Leben gekommen. Wie es zu dem Unglück kommen konnte, ist noch nicht bekannt.

Dazu drei Postings, mit Antworten:

P1: Mein tiefes Beileid gilt den Eltern der Kinder. Hatte so ein Schwimm-Unglück im Freundeskreis auch schon erleben müssen. Es zieht einem den Boden unter den Füßen weg.

P2: »Auf tragische Weise ums Leben gekommen.« Gibt es auch eine untragische Weise, ums Leben zu kommen?

A1: Ja, mit neunzig einschlafen und nicht mehr aufwachen.

P3: In einem Swimmingpool einer Villa in der Toskana ertrunken. Bizarr! Reichtum schützt vor Unglück nicht.

A1: Ihnen ist offenbar jeder noch so traurige Anlass recht, um Ihren Neid und Hass auf Besserverdiener loszuwerden. Schämen Sie sich.

A1a: »Loswerden« ist da das falsche Wort. Seinen Neid und seinen Hass wird man durch solche Sager nämlich niemals los. Im Gegenteil, damit feuert man nur andere Neider und Hasser an.

Korrigierter Pressetext:

Bei dem vierzehnjährigen Mädchen, das vergangenen Samstagabend in einem Swimmingpool einer Villa bei Castagneto Carducci in der italienischen Toskana verunglückt und drei Tage später im örtlichen Krankenhaus verstorben ist, handelt es sich nicht, wie irrtümlich berichtet, um die Tochter einer Wiener Familie, sondern um eine Freundin der Tochter, ein Flüchtlingskind aus Somalia.

Dazu 167 Postings, hier fünf davon, mit Antworten:

P6: Uiiii, schöner Scheiß!

P18: Wie kommt ein Flüchtlingskind aus Somalia in eine Villa in der Toskana?

A1: Nicht zu Fuß.

A1a: Haha!

A2: MitNGOs. Die bringen Migranten überallhin. Natürlich gratis.

A2a: Sparen Sie sich Ihre geschmacklosen Bemerkungen.

A3: Steht eh im Artikel — es war die Freundin der Tochter. Zuerst lesen, dann posten!

A4: War wahrscheinlich ein Patenkind von Gutmenschen-Bobos.

A5: Wenn ich manche Kommentare lese, kommt mir das Kotzen. Ein Kind ist beim Schwimmen verunglückt, das ist allemal tragisch genug, da braucht man keine blöden Sprüche klopfen.

P69: Afrikanisches Migrantenkind ertrinkt in europäischem Fünfsterne-Swimmingpool. Gratulation! Das sind die Auswüchse der Willkommenskultur der Frau Merkel …

A1: Geh bitte. Jetzt melden sich schon wieder die ganzen Trolle von rechts außen.

A2: Wo steht, dass das ein Fünfsternehotel war?

A2a: Na ja. Villa. Toskana. Das riecht schon nach fünf Sternen.

P103: Die afrikanischen Kinder können alle nicht schwimmen. Kein Wunder, dass so viele ertrinken.

A1: Aber eher im Mittelmeer, und weniger im Swimmingpool.

A1a: Ja, das entbehrt nicht einer gewissen Skurrilität.

P152: Kaum steht in einem Artikel das Wort »Flüchtling«, müssen hier im Forum schon wieder alle unbedingt was dazu sagen.

A1: Einschließlich Ihnen.

Modifizierter Pressetext, einen Tag später:

Zu dem tödlichen Badeunfall, der sich vergangenen Samstag in einem Swimmingpool einer Villa bei Castagneto Carducci in der Toskana in Italien ereignet hat, sind nun einige Details bekannt geworden. Wie berichtet, ist ein Migrantenkind aus Somalia im Pool ertrunken. Das vierzehnjährige Mädchen, das zwei Jahre in Wien gelebt und bereits Asylstatus hatte, war von zwei österreichischen Familien mit in den Urlaub genommen worden, darunter eine bekannte Grün-Politikerin und ein renommierter niederösterreichischer Winzer. Unmittelbar nach dem Unglück waren von den Anwesenden sofort lebensrettende Maßnahmen gesetzt worden, die aber zu spät kamen. Die Vierzehnjährige starb drei Tage später im Spital in Cecina.

Dazu 844 Postings, hier einige davon, mit Antworten:

P1: Ich möchte mein tiefes Mitgefühl allen Betroffenen und Angehörigen gegenüber ausdrücken.

A1: Die Angehörigen werden mit deinem Posting vermutlich nicht viel anfangen können.

P2: Weiß man schon, wer es ist?

A1: Die Politikerin oder der Winzer?

P2: Der Winzer ist mir egal, ich bin Biertrinker!

A2: Sehr witzig.

A3: Angeblich die Strobl-Marinek, schreiben sie zumindest auf oe24.

A4: Ja! Elisa Strobl-Marinek, und der Starwinzer ist Engelbert Binder.

A5: Oida, so etwas brauchst du auch nicht in deiner Biografie …

P37: Wieso werden die Namen im Bericht nicht geschrieben, wenn sie ohnehin schon bekannt sind?

A1: Weil es bei uns das Recht auf Schutz der Privatsphäre gibt.

A1a: Das gilt aber nicht für »Personen des öffentlichen Interesses«, also für die Promis.

A1b: Blödsinn. Natürlich gilt das auch für die! Wenn das Ereignis nichts mit dem Job zu tun hat, ist und bleibt es Privatsache und muss geschützt werden.

A2: Manche Medien halten sich daran, manche nicht. Die sich daran halten, sind die Depperten. Wenn ein Name einmal im Netz steht, dann ist es eh schon wurscht, dann wissen’s eh alle.

P133: Die Strobl-Marinek tut mir leid. Ich mag die. Sie ist eine der wenigen Echten bei den Grünen, mit Ecken und Kanten! Wäre interessant, was da genau passiert ist mit dem Flüchtlingskind.

A1: Machen überall Scherereien, diese Flüchtlinge!! (Vorsicht: Ironie.)

A2: Die kann sich ihre politische Karriere jetzt abschminken.

A2a: Wieso? Das ist ein persönliches Unglück und hat nichts mit Politik zu tun.

A3: Von einer als zukünftige Umweltministerin gehandelten Person erwarte ich mir schon, dass sie ihre unmittelbare Umwelt so weit überblicken kann, dass nicht ein Kind quasi neben ihr im Swimmingpool ertrinkt.

A3a: Reden S’ nicht so g’scheit daher. Wir wissen ja noch gar nicht, wie es dazu gekommen ist.

Neuer Pressetext, vierzehn Tage später:

Ein tragischer Badeunfall in der Toskana könnte nun für die Grün-Abgeordnete Elisa Strobl-Marinek ein gerichtliches Nachspiel haben. Gegen sie und weitere drei Personen, dar-unter ein renommierter niederösterreichischer Winzer, wurden von den italienischen Behörden Vorerhebungen wegen des Verdachts der »fahrlässigen Tötung« eingeleitet. Das bestätigt ein Sprecher des Außenamts. Dabei handle es sich freilich nur um Routine-Untersuchungen. ...