Kapitel 1
Carla
Und wieder vibrierte das Handy in meiner Hosentasche. Ich gab mir alle Mühe, es zu ignorieren und mich auf meinen Professor zu konzentrieren, der den Hörsaal seit einer Stunde mit verschiedenen Marketingstrategien auf Trab hielt. Meine Notizen waren von Anfang an unordentlich und zusammenhanglos gewesen, weshalb ich bereits nach einer halben Stunde aufgehört hatte, mitzuschreiben. Ausgerechnet heute hatte ich den Laptop zu Hause vergessen. Oskar, einer meiner kleinen Brüder, hatte verschlafen und den Schulbus verpasst, also hatte ich ihn fahren müssen. Der Morgen war so hektisch gewesen, dass der Laptop leider nicht den Weg in mein Auto gefunden hatte. Verdammter Mist. Mein Marketingkurs würde zwar in wenigen Minuten vorbei sein, doch jede einzelne davon fühlte sich an wie Stunden. Ich hatte keine Ahnung, wovon Professor MacKenzie sprach. Außerdem nuschelte der alte, dürre Mann, als hätte er sein Gebiss verlegt.
Wieder vibrierte das Handy in meiner Hosentasche, und ich grollte leise, ehe ich es herausfischte und unter dem Tisch die neuen Nachrichten las.
Oskar: Carla!!! Mateo hat mich geschlagen und mir meinen Gameboy weggenommen!!
Oskar: Wann kommst du nach Hause? Mateo hat die Reste vom Abendessen alle aufgegessen!
Alma: ¡Hola, Mariposa! Kannst du morgen im Salon aushelfen? Marias Sohn ist krank und hat sie angesteckt.
Oskar: Carla!! Mateo hat wieder Besuch von seinen Freunden, und sie rauchen Zigaretten in der Wohnung!!!
Mateo: Kannst du mir zehn Dollar geben?
Ein entnervtes Stöhnen entfuhr mir.
Offenbar war es ein wenig lauter als gedacht, denn mehrere Köpfe drehten sich zu mir herum.
Ich versuchte, mich auf meinem Stuhl klein zu machen, und legte verdrossen den Kopf auf dem Tisch ab. Wieso schafften es meine kleinen Brüder nicht, einen einzigen verfluchten Nachmittag lang allein miteinander auszukommen? Und Mateo hatte wieder seine verdammten Freunde zu uns nach Hause eingeladen!Mierda. Ihm würde der Ärger seines Lebens blühen, wenn ich ihn in die Finger bekam.
Unauffällig tippte ich unter dem Tisch Antworten an Tante Alma und die Jungs, ehe ich das Telefon wieder wegsteckte.
»Miss, langweile ich Sie?«
Erschrocken hob ich den Kopf und starrte Professor MacKenzie an, dessen missbilligender Blick ausgerechnet auf mir ruhte.
Wie auch die Aufmerksamkeit des Hörsaales.
Ich biss die Zähne zusammen. »Nein, Sir. Natürlich nicht, im Gegenteil.«
»Wie war noch gleich Ihr Name?«
»Carla Santos, Sir.«
Der alte Mann schenkte mir ein kühles Lächeln. »Wenn ich mich nicht irre, haben Sie die ganze Vorlesung an Ihrem Telefon verbracht, richtig, Miss Santos? Sicher haben Sie kein Problem damit, bis nächste Woche Freitag eine kleine Hausarbeit über operatives Marketing zu schreiben. Zehn Seiten sollten reichen.«
Ich zwang mich, nicht zu fluchen, und ballte stattdessen die Hände zu Fäusten. Das war bereits das dritte Mal dieses Semester, dass ich einen solchen Dämpfer von einem Dozenten aufgedrückt bekommen hatte. Deshalb erwiderte ich nichts, atmete tief durch und fixierte so lange meinen Tisch, bis MacKenzie endlich seine genuschelte Vorlesung fortsetzte.
Jemand pikste mich mit einem Stift in den Arm.
Ich blickte zur Seite und begegnete Austin Fullers lässigem Grinsen.
Großartig.
Meine Laune sank immer weiter.
»Hey, Carla«, flüsterte er und beugte sich zu mir herüber. Der Duft seines teuren Eau de Parfums stieg mir dabei in die Nase. »Morgen Abend schmeiße ich eine kleine Party. Du solltest wirklich kommen, das wird lustig.«
Austin und seine Mitbewohner waren am ganzen Campus bekannt für die legendären Partys in ihrem Verbindungshaus. Die ahnungslosen Freshmen fühlten sich immer wie ganz besondere Schneeflocken, wenn Austin oder die anderen Jungs sie einluden – natürlich hauptsächlich, um sie der Reihe nach flachzulegen. Ich war zwar nicht dämlich genug, um darauf hereinzufallen, hatte meine Dämlichkeit aber auf eine andere Art und Weise bewiesen.
Ich hob eine Augenbraue und musterte Austins selbstbewusstes Gesicht, das Funkeln in seinen blauen Augen und das zerzauste schwarze Haar. Beinahe wäre mir eine scharfe Antwort herausgerutscht, doch i