Einleitung
Heute, im Zeitalter von Gentechnik, von umwälzenden Neuerungen in der Informationstechnologie sowie einer um sich greifenden Globalisierung der Wirtschaft und Ökonomisierung der Gesellschaft, stellt sich die Frage nach der conditio humana mehr denn je. Die Idee der Aufklärung, die in der Einsicht begründet war, dass der Menschen im Vertrauen auf die Kraft seines vernünftigen Geistes sich selbst aus der Unmündigkeit und der Bevormundung durch weltliche und geistliche Autoritäten herauszuführen vermag, ist nach wie vor lebendig.
Wie in jener Zeit werden auch heute traditionelle Werte, Normen, Institutionen und die gesellschaftliche Verfasstheit insgesamt radikal in Frage gestellt und ihre Legitimation rationalen, vernunftgemäßen Kriterien unterworfen. Aber sind die Menschen im 21. Jahrhundert, die unvergleichlich tiefere naturwissenschaftliche Einsichten und Erkenntnisse in die Natur des Menschen haben, als alle Menschen jemals zuvor, heute freier und glücklicher? Was haben wir aus der Idee der Aufklärung gemacht? Haben wir uns von der ungerechtfertigten Bevormundung durch weltliche Autoritäten und geistlichen Dogmen tatsächlich befreit und sind mündige Bürger in einem frei verfassten Staat geworden? Wo liegen die Begrenzungen, wo die Gefährdungen für ein gutes, glückliches Leben heute, da wir in den westlichen Industriestaaten doch angeblich im materiellen Wohlstand leben und die Mehrzahl der Europäer von der Mühsal des täglichen Existenzkampfs enthoben ist?
Der abendländische Mensch – und um den geht es in diesem Essay-Band in erster Linie – ist wesentlich durch drei Grundbedingungen oder Meta-Phänomene bestimmt und geprägt worden.
Dies sind erstens die naturgegebenen Bedingungen des Menschen im Rahmen seiner evolutionären Entwicklung, die Frage nach dem Sinn des Lebens als solchem und der Spezifikation des menschlichen Lebens.
Das zweite Meta-Phänomen betrifft die Entstehungsbedingungen von Kultur und kultureller Evolution, der Frage nach dem Sinn von Glauben, Mythos, Spiritualität für die menschliche Gesellschaft.
Der dritte Pfeiler der Verfasstheit der Menschen in Europa heute ist die gesellschaftliche Ebene, die spezifisch europäische Lebensart, Zivilisation und Kultur, die sich im Spannungsfeld von kirchlicher und weltlicher Macht, von Rationalität, protestantischer (Arbeits-)Ethik und ökonomischem Denken historisch herausgebildet hat.
Alle diese Meta-Phänomene haben bis zum heutigen Tag große Wirkungen auf unsere Gesellschaft, unser individuelles Verhalten und unser Bewusstsein von Unabhängigkeit und Selbstbestimmung. Ohne Berücksichtigung dieser fundamentalen Bedingungen des Menschseins müssen die Fragen nach dem, was der Mensch ist, was ihn bewegt und treibt, was seinem Freiheitsgefühl und Autonomiebewusstsein Struktur gibt, fragmentarisch bleiben.
Eine prinzipielle Begrenzung der Freiheit und Autonomie erfährt der Mensch zunächst einmal durch seine tierische Herkunft, durch seine Eingebundenheit in die Naturprozesse allen Lebens. Diesem Aspekt wird in dem Essay ›Was ist der Mensch?‹ nachgegangen. Wie sind wir geworden, die wir sind? Wie hat sich Leben entwickelt und was sind die Begrenzungen des Lebendigen allgemein und des Menschen im Bes