: Daniel Glattauer
: Mama, jetzt nicht! Kolumnen aus dem Alltag
: Deuticke im Paul Zsolnay Verlag
: 9783552061781
: 1
: CHF 7.30
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: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 176
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
In seinen 'Kolumnen aus dem Alltag', die über viele Jahre in der österreichischen Tageszeitung 'Der Standard' erschienen sind, würdigt Glattauer bislang in ihrer Bedeutung unterschätzte feierliche Anlässe ('Weltverdauungstag'), beschreibt die Tücken des öffentlichen Privatlebens im Zeitalter der Handys, hängt traumatischen Erinnerungen an die Schulzeit nach ('Langsam ans Abgeben denken!') und stellt sich den ganz großen Daseinsfragen ('Es ist, wie es ist'). Seine Themen findet Glattauer in der unmittelbaren Umgebung. Messerscharfe Beobachtungsgabe und feine Ironie machen den Autor aus Österreich zum Meister der kleinen Form.

Daniel Glattauer, geboren 1960 in Wien, Autor und ehemals Journalist. Bücher (u.a.): Die Ameisenzählung (2001), Darum (2003), Die Vögel brüllen (2004), Der Weihnachtshund (Neuausgabe 2004), Theo. Antworten aus dem Kinderzimmer (2010). Mit seinen beiden Romanen, Gut gegen Nordwind (2006) und Alle sieben Wellen (2009), gelangen ihm zwei Bestseller, die in zahlreiche Sprachen übersetzt und auch als Hörspiel, Theaterstück und Hörbuch zum Erfolg wurden. Im Deuticke Verlag sind auch die Romane Ewig Dein (2012) und Geschenkt (2014) sowie die Komödie Die Wunderübung (2014) erschienen. Im Herbst 2018 folgt sein neues Theaterstück Vier Stern Stunden.
"Roquefort auf Reise (S. 34-35)

Am 14. Dezember wurde in Dijon ein französisches Weihnachtspaket aufgegeben. Sieben Tage später kam es in Wien an. Empfänger Josef K. war allerdings nicht daheim. Die Mitteilung zur Hinterlegung ging in Werbeprospekten unter. Das Paket blieb im Postamt. Weitere neun Tage vergingen– da langte bei Josef K. eine Aufforderung der Post ein, wonach jene Sendung»wirklich dringend« abzuholen sei. Doch der Empfänger war verreist. Erst Tage später war Josef K. in der Lage, das Postamt aufzusuchen– zu Mittag, da hatte es geschlossen.

Weitere fünf Stunden vergingen– kostbare Reifezeit, wie sich bald weisen sollte.Am Abend stand der Kunde vor einer der Schwerarbeiterregelung akut bedürftigen Postbediensteten, die mit zittrigen Händen jenes monströse, mehrfach umwickelte, mit Heftklammernübersäte Paket hervorholte, welches das Amt tagelang in Atem gehalten hatte. Und die Postlerin sprach:»I waaß zwoa net, wos drin is, oba es is extrem!«– Ihr sei verraten: ein Ex-Brie, ein Ex-Mont-d’Or, ein Ex-Roquefort und ein (auf ewig) aromatisierter Seidenschal.Kleiner Tipp an Frankreich: Schickt uns SMS oder E-Mails, aber reizt nie wieder die diabolische Mischung aus Käse und Postweg aus.

Bettelkatalog


Wie man gemeinhin argumentiert, warum man Bettlern kein Geld gibt:Weil man nicht bei ihnen vorbeikommt. Weil man sie nicht bemerkt. Weil man nicht hinschaut. Weil es sie eigentlich nicht geben dürfte. Weil inÖsterreich kein Mensch betteln müsste. Weil es Arbeit für jeden gibt (außer für Arbeitslose, aber für die gibt es Arbeitslosenunterstützung). Weil die Sozialhilfe ohnehin von Steuergeldern bezahlt wird. Weil Betteln nicht erlaubt ist. Weil Bettler oft organisiert und kriminell sind. Weil Bettler ihre Kinder zum Betteln statt in die Schule schicken. Weil die bettelnden Kinder daheim alles abliefern müssen.

Weil man Bettlern mit Geld prinzipiell nicht helfen kann. Weil sie mit dem erbettelten Geld weder Gewand noch Essen, sondern Alkohol kaufen. Weil sie mit dem Geld ihre Drogensucht finanzieren. Weil sie sonst glauben, sie können weiter vom Betteln leben. Weil es immer mehr Bettler geben würde, je mehr man jedem Einzelnen von ihnen gibt. Weil es, umgekehrt, bald keine Bettler mehr gäbe, wenn ihnen keiner mehr etwas gibt. Weil man die Armut von der Straße wegfegen könnte, indem man sie aushungert.Wie man argumentiert, warum man Bettlern Geld gibt: Gar nicht. Man gibt."