: Ansgar Graw
: Trump verrückt(e) die Welt Was nun? Aktualisierte Neuauflage
: LangenMüller
: 9783784483948
: 1
: CHF 9.20
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: Politik
: German
: 240
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Am 3. November entscheiden die Wähler, ob sie das 2016 begonnene Experiment mit Donald Trump, dem wohl disruptivsten Staatsmann, der nach 1945 in einer liberalen Demokratie ins Zentrum der Macht gewählt wurde, fortsetzen oder sich für den Routinier Joe Biden entscheiden, der nicht wegen seiner Ideen gewählt würde, sondern weil er nicht Donald Trump ist. Washington Insider Ansgar Graw zeigt die Stärken und Schwächen beider Politiker in einer tief gespaltenen Nation, er analysiert ihre Wählermilieus und die Umfragen und er zeichnet die großen Themen des Wahljahrs und ihren Einfluss nach: Da ist die Black-Lives-Matter-Bewegung, die gegen Rassismus und Polizeigewalt protestiert, aber in ihren extremen Ausläufern nicht vor Gewalt, Brandschatzungen und Denkmalstürmereien zurückschreckt. Und da ist die Pandemie. Trump hat sie stets heruntergespielt, aber wenige Wochen vor der Wahl wurde bekannt, dass er sich der tödlichen Bedrohung durch Corona immer bewusst war. Nehmen ihm seine Wähler ab, dass er sie vor einer Panik bewahren wollte? Oder setzt sich Bidens Wort vom 'Verrat des amerikanischen Volkes auf Leben und Tod' durch?

1 | Wahlkampf 2020: Joe Biden, der Kandidat ohne Eigenschaften

Etwas mehr Mindestlohn. Investitionen in grüne Energien. Eine Strafrechtsreform. Unterstützung von Gemeinden mit hohem Minderheitenanteil. Die Rückkehr zum Pariser Klimaabkommen. Nein zum generellen Einreiseverbot aus diversen muslimischen Ländern. Ja zu Obamacare. Jein zu einem weiterhin harten Kurs gegenüber China. Joe Bidens Wahlkampfthemen sind so vorhersehbar und wenig aufregend wie seine Reden. Der Kandidat der Demokraten ist kein Entertainer, kein Volkstribun, kein Mensch mit Visionen. Der frühere Rechtsanwalt, der 17 Tage nach der Wahl 78 Jahre alt wird, wirkt nicht wie der Garant für ein zukunftsfestes Amerika, sondern wie der nette Großvater von nebenan.

Und das taugte im Wahlkampf 2020 vielleicht zur schärfsten Waffe von Biden. Donald Trump, der Präsident, ist nur vier Jahre jünger, aber er ist der aggressive Zuspitzer. »Tough Trump« wurde er genannt, als er 2011 wieder einmal ein Buch auf den Markt brachte, »Time to get Tough«. Er spottet gern über »sleepy Joe«, den verschlafenen Joe. Was aber, wenn die Menschen in den USA nach vier Jahren Egotrip des Milliardärs imOval Office sich jetzt den visionsfreien Opa-Typen wünschen? Lieber einen entspannenden Beruhigungstee trinken statt ständig Adrenalin serviert zu bekommen? Einen Kandidaten ohne Eigenschaften bevorzugen gegenüber einem so eigenwilligen Narzissten?

Biden, geboren im Nordosten des Bundesstaates Pennsylvania, wuchs auf in Delaware, das er von 1973 bis 2009 im Senat vertrat. Als er im Wahlkampf 2008Running Mate von Barack Obama und dann acht Jahre dessen Vizepräsident war, wirkte Biden noch drahtiger, agiler, vor allem ambitionierter. Gegenüber Journalisten ließ er deutlich durchblicken, dass er mit seiner langen Senatserfahrung und seiner Fähigkeit, über die Parteilinien hinweg Kompromisse auszuhandeln, doch eigentlich der viel geeignetere Kandidat sei als dieser Jungspund, geboren auf Hawaii, der gerade erst seit 2005 als Junior Senator für Illinois die Bundespolitik zu entdecken begann.

Der Groll kam nicht von ungefähr. In jener Präsidentschaftswahl hatte Biden eigentlich seinen Namen auf dem Ticket der Demokraten fürs Weiße Haus sehen wollen. Dann aber äußerte er sich 2007 im Aufgalopp zum Bewerbungsrennen über den ebenfalls in den Startlöchern sitzenden Obama. »Ich meine, wir haben den ersten Mainstream-Afroamerikaner, der sich artikulieren kann, intelligent und sauber und ein gutaussehender Kerl ist«, sagte Biden demNew York Observer in einem Gespräch über das Bewerberfeld seiner Partei. »Ich meine, das ist wie für einen Roman, Mann.« Der Politiker, dem bis heute der Ruf nacheilt, er lasse keinen Fettnapf aus, entschuldigte sich. Seine Worte, vor allem das Lob dafür, dass der Afroamerikaner »sauber« sei, seien aus dem Kontext gerissen worden. Doch mit der Nominierung wurde es nichts mehr, stattdessen kam Obama zum Zug.

Erstmals hatte sich der irischstämmige Katholik 1988 um die Kandidatur bemüht. In einer Wahlkampfrede wollte der junge Senator auf Ungerechtigkeiten im Bildungssystem hinweisen: »Als ich hierher kam, überlegte ich mir, warum wohl Joe Biden der erste in seiner Familie ist, der jemals eine Universität besucht hat.« Dann zeigte er auf seine im Publikum sitzende Frau und fuhr fort: »Warum ist meine