: Nadeschda A. Joffe
: Rückblende Mein Leben, mein Schicksal, meine Epoche - Die Memoiren von Nadeschda A. Joffe
: MEHRING Verlag
: 9783886347636
: 1
: CHF 6.40
:
: Biographien, Autobiographien
: German
: 269
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Nadeschda A. Joffe ist die Tochter Adolf Abramowitsch Joffes, des Bolschewisten und Mitglieds der Linken Opposition, der sich im Jahr 1927 aus Protest gegen den Ausschluß Leo Trotzkis aus der Kommunistischen Partei der Sowjetunion das Leben nahm. Auf den ersten Seiten ihres bemerkenswerten Buches vermittelt Nadeschda Joffe, die 1906 geboren wurde, einen äußerst lebendigen Eindruck des Alltagslebens der sowjetischen Jugend, die unmittelbar nach der Revolution heranwuchs. Ihre Erinnerungen an ihren Vater, an Trotzki, Lenin, Mehring, Rakowski und Lunatscharski, und an das politische und kulturelle Leben im Moskau der frühen zwanziger Jahre sind einfach einzigartig. Vor allem jedoch schildert das Buch den Alptraum ihres Schicksals in den Händen der stalinistischen Bürokratie, die sie im Jahr 1929 erstmals als Oppositionelle verhaften und für mehrere Jahre nach Sibirien deportieren ließ. Ihre zweite Verhaftung und Deportation in die Region Kolima in Nordost-Sibirien, die 1936 erfolgte, leitete eine noch höllischere Periode ein. Angehörige der Linken Opposition, Intellektuelle, Arbeiter, Bauern zu Hunderttausenden starben sie in Kolima unter den elenden Bedingungen der Zwangsarbeit. Joffe hielt die Niederschrift dieser Erfahrungen, wie sie im Vorwort erklärt, für ihre Pflicht gegenüber jenen, die mit mir in den Gefängniszellen und Doppelkojen der Lager Kolimas waren. Erst 1956, nach zwei Jahrzehnten im Exil, konnte sie nach Moskau zurückkehren. Dieses eindrucksvolle Werk von einem der wenigen Mitglieder der Linken Opposition, die die dreißiger Jahre überlebten, ist ein Muß für jeden, der die größte Frage des zwanzigsten Jahrhunderts enträtseln will die Oktoberrevolution und ihre Degeneration.

Vorwort
der amerikanischen Ausgabe


Von den Schreckensjahren der stalinistischen Verfolgung zeugt eine bedeutende Literaturgattung, der wir Werke wie die Memoiren Nadeschda Mandelstams, Ewgenia Ginsburgs, Margarete Buber-Neumanns und Anna Bucharinas verdanken. Und doch darf das vorliegende Werk in diesem berühmten Kreis eine Sonderstellung beanspruchen. Nicht, daß die anderen weniger erduldet hätten als Nadeschda Joffe oder den durchlittenen Terror weniger eindringlich schilderten. Nein, das historisch Einmalige an diesen Memoiren ist die politische Perspektive der Autorin. Nadeschda Joffe war schon vor ihrer ersten Verhaftung eine bewußte und politisch aktive Gegnerin des Stalinismus gewesen. Aus der Sowjetunion nach Stalin sind dies die einzigen je verfaßten Memoiren eines Mitglieds der Linken Opposition, die 1923 unter der Führung Leo Trotzkis gegründet worden war.

Es gäbe vielleicht weitaus mehr solche Werke, wenn Stalin und seine Henker nicht mit derart teuflischer Gründlichkeit alle marxistischen Gegner der Sowjetbürokratie vernichtet hätten. Der Vorwurf der »KRTD« – das russische Kürzel für »konterrevolutionäre trotzkistische Tätigkeit« – bedeutete den sicheren Untergang. Wer lediglich der »KRD« – »konterrevolutionären Tätigkeit« – angeklagt war, der durfte hoffen, mit »nur« fünf Jahren Arbeitslager davonzukommen, was angesichts der Ungeheuerlichkeit des stalinistischen Terrors eine vergleichsweise milde Strafe war. Aber wenn die Anklage vermittels des »T« mit den Ideen von Stalins unversöhnlichstem Gegner in Verbindung gebracht worden war, dann durfte das Opfer keine Wiederkehr erwarten.

Ungezählte Tausende, die wegen KRTD verurteilt wurden, hatten in Wirklichkeit nicht das Geringste mit Leo Trotzki oder der Linken Opposition zu tun gehabt. Nicht so Nadeschda. Sie war die Tochter Adolf Abramowitsch Joffes, der zu Trotzkis engsten persönlichen Freunden und politischen Verbündeten zählte. Im November 1927 beging Joffe Selbstmord, um gegen Trotzkis Ausschluß aus der Kommunistischen Partei Rußlands zu protestieren. Damals war Nadeschda 21 Jahre alt und verfügte bereits über beachtliche politische Erfahrung in dem Kampf, den die Linke Opposition zu dieser Zeit gegen die Sowjetbürokratie führte. Im Gegensatz zu vielen anderen, die der Terror erfaßte, sah sich Nadeschda nicht als Opfer eines willkürlichen und unergründlichen Schicksals. Sie wußte, daß sie ein politischer Gegner des Regimes war, und sie verstand die politischen Motive hinter Stalins Verbrechen. Die meisten, die in die Arbeitslager geworfen wurden, konnten sich einfach nicht erklären, weshalb sie dort waren. Ein solches Opfer erinnerte sich später in seinen Memoiren, daß die Trotzkisten »uns gegenüber den ungeheuren Vorteil hatten, ein geschlossenes System zu vertreten, das geeignet war, den Stalinismus abzulösen, und an dem sie in der tiefen Not der verratenen Revolution Halt fanden«.[1]

Eine Einführung in den vorliegenden Band verlangt einen kurzen Abriß der politischen Laufbahn des Vaters der Autorin. Adolf Joffe wurde 1883 geboren. Obwohl aus einer sehr wohlhabenden Familie und von schwacher Gesundheit, trat er um die Jahrhundertwende der russischen revolutionären Bewegung bei. Wie viele andere seiner Generation mußte Joffe nach der Revolution von 1905 Rußland verlassen. Während seines Aufenthalts in Wien 1908 schloß er sich eng an Leo Trotzki an und half ihm bei der Herausgabe einer neuen russisch-sprachigen Zeitung, der »Prawda«. Damals gehörte Trotzki weder der bolschewistischen noch der menschewistischen Fraktion der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Rußlands an. Seine theoretische Analyse der Ereignisse von 1905 mit ihrer Schlußfolgerung, daß Rußland trotz seiner ökonomischen Rückständigkeit am Vorabend einer sozialistischen Revolution stehe, hatte ihn politisch isoliert. Selbst Lenin tat Trotzkis Theorie der »permanenten Revolution« als »absurd links« ab. Joffe gehörte zu den wenigen, die den vorausschauenden Charakter der Analyse Trotzkis erfaßten. Aber nicht nur gemeinsame politische Ansichten brachte