Vorwort
Zum ersten Mal weckte er mein Interesse, als Helmut Kohl ihn der Öffentlichkeit vorstellte. Das sei »mal wieder so ’n Fang«, lobte sich im Sommer 1969 der rheinland-pfälzische Ministerpräsident, dessen früher Ruhm darauf beruhte, dass er ein Gespür für Talente besaß. Die neueste Eroberung, die er in Mainz auf einer Pressekonferenz anpries – »ein echter Hochkaräter«, wie er ihn umschmeichelte –, hieß Richard von Weizsäcker.
In Bonn, wo damals die Große Koalition regierte, stand eine wichtige Bundestagswahl bevor, und für Kohls Entschlossenheit, dem seit anderthalb Jahrzehnten derCDU angehörenden Parteifreund in der heimischen Provinz einen sicheren Listenplatz zu verschaffen, gab es gute Gründe. Vor allem wollte der pragmatische Katholik im Schulterschluss mit dem ehemaligen Spitzenfunktionär des Deutschen Evangelischen Kirchentages sein Image als überkonfessioneller Modernisierer polieren.
Bei mir und den meisten meiner Kollegen überwogen dagegen die Bedenken. Als strammen »Achtundsechzigern« in der linksliberalen »Frankfurter Rundschau« erschien uns der Machtverlust der Union längst überfällig. So sehr uns an Weizsäcker bis dahin beeindruckt hatte, dass er beharrlich die Friedensinitiativen des Sozialdemokraten Willy Brandt unterstützte, so wenig erwarteten wir in der reformbedürftigen Wirtschafts- und Sozialpolitik von einem seinerzeit fast schon fünfzigjährigen Edelmann.
Leicht missglückt endete denn auch das erste Interview mit ihm, zu dem er mich nach seinem Einzug ins Bundesparlament im Bonner »Hotel am Tulpenfeld« empfing. Anfänglich betont konziliant, rügte er meine Bemerkung, zumindest mit seinen Entspannungsbemühungen in der »falschen Partei gelandet« zusein, schneidend scharf als »ziemlich vorlaut« und verlor an unserem Gespräch ersichtlich die Lust.
Umso überraschender für mich, dass Weizsäcker einige Wochen danach deutlich gelassener noch einmal von sich aus auf den Vorwurf zurückkam. Meine Kritik, erklärte er mir unter Hinweis auf seine bisherige Vita, verfehle in einem wesentlichen Punkt den Kern. Da er generell »zu hundert Prozent hinter nichtsund niemandem« stehe, könne er mit dem vermeintlichen Widerspruch sehr gut leben: Er habe sich für dieCDU entschieden, weil sie ihm »am wenigsten fremd« sei.
Ohne sich eine gewisse Eigenständigkeit zu bewahren, mochte der Jurist und zeitweilige Geschäftsführer des Ingelheimer Pharmakonzerns C. H. Boehringer in der Politik offenbar keine Karriere starten – ein Vorsatz, von dem er sich tatsächlich kaum etwas abhandeln ließ. Wie er in der Union für seine Überzeugungen kämpfte und sie etwa Mitte der Siebziger bei der Verabschiedung ihres weitgehend erneuerten Grundsatzprogramms dazu aufforderte, die rebellierende nachwachsende Generation »endlich freizugeben«, hatte durchaus Format.
Und dann diese Nonchalance, als er immer öfter zwischen die Fronten geriet! Je wütender sich der rechtslastige Mainstream seiner Partei von dem zunehmend eigenwilligen Querdenker distanzierte, desto mehr Gefallen fanden wir an ihm. Als später sogar der inzwischen zum Bundeskanzler aufgestiegene Helmut Kohl dem einstigen Schützling zu misstrauen begann und den »extravaganten Herrn von der Oberschicht« mit derben Sottisen überzog, wurde er fast schon zu »unserem Mann«.
Vermutlich lag das auch daran, dass uns ein anderer Weizsäcker bereits seit längerem sympathisch war. Richards älterer Bruder Carl Friedrich, als Physiker im »Dritten Reich« am letztlich gescheiterten Bau einer Atombombe beteiligt, hatte sich nach dem Kriege von Grund auf gewandelt und im Frühjahr 1957 selbst den Lockrufen Konrad Adenauers versagt. Der wollte ihn und die kundigsten seiner Kollegen dafür gewinnen, die Bundeswehr mit takti