I TOBIAS
Es war einer jener langen, unbedeutenden Nachmittage, und es sollte doch der letzte seiner Art sein. Und auch als es später Nachmittag, wohl Abend geworden war in dieser Halle ohne Zeit, und als die Nacht begann mit all den gleißend weißen und bunten Lichtern draußen vor dem Glas und als der Nebel zu einer Wand gewachsen war und die Rollfelder, die Start- und Landebahnen und die Flugzeuge einfach weggenommen hatte, selbst dann noch, als manche, wider jede Notwendigkeit, schon auf das Morgenlicht warteten (warum sollte die Sonne denn nicht aufgehen über den silbernen Betonbändern und dem tintigen Gras?), da gehörte dies alles immer noch zu jenem langsamen Nachmittag, der damit begonnen hatte, daß Tobias’ Augen auf der Bauchhaut des Rochen lagen.
Er stand vor dem Aquarium.
Der Rochen klebte flach mit ausgebreiteten Seitenflossen am Glas. Seine Unterseite war milchig weiß. Und Tobias spielte gerne mit diesem Blick, bei dem er sich selbst sah (nur ein wenig, nur als Schemen mit blaßdunklen Gesichtszügen) und zugleich denken konnte, er sähe einen andern.
Einen Mann, einen Fremden, der interessanter war als er, einen Reisenden im Staubmantel vielleicht und mit Hut, einen, den er gerne kennenlernen würde.
Manchmal kam er dann einen Schritt näher und starrte in die zwei dunklen Öffnungen über dem Mund des Tieres, die so aussahen, als könne der Rochen mit ihnen sehen.
Ein Gespenst, kreischte es, schau, ein Gespenst!
Er drehte sich weg. (Immer wenn der Rochen so dahing, kreischte bald irgendein Kind.)
Ein Mädchen in rosageringelter Filzweste streckte jetzt seinen Zeigefinger gegen die dicke Scheibe und zog ihn schnell, in erschrockener Lust, wieder zurück. Nun sah es sich um, als suche es nach einem Echo seiner Begeisterung. Der Rochen klebte weiter an der Scheibe. Sein geschwungener schwarzer Mund stand offen wie ein kleines Lächeln. Seine Nasenlöcher gaben ihm ein täuschendes Angesicht. Mit den flachen Flossen bot er sich an wie ein Gekreuzigter.
Tobias sagte nichts.
Das Mädchen wippte vor dem Glas. Es trug einen kurzen, dunkelblauen Faltenrock, der sein Hüpfen optisch verstärkte.
Wie eine beschleunigte Qualle, dachte Tobias.
Ein Rochen, sagte müde ein Mann. Langsam trat er von hinten an das Kind und legte ihm die Hand auf die Schulter, das ist ein Rochen.Von unten gesehen. Schau, das da ist der Mund, und da, die zwei Öffnungen, die Kiemen.
Auch falsch, dachte Tobias, die Kiemen liegen tiefer.
Einst hatten Seefahrer Rochen mitgebracht, auf den Schiffen getrocknete Rochen, die sie an Land als Wasserfrauen verkauften. Nur ein wenig zurechtgeschnitten, da und dort etwas abgebunden, und schon hatten diese Fische weibliche Körper, etwas Engelhaftes auch. Geigenrochen, dachte Tobias, bewiesen die Existenz von Nixen. Jeder konnte sie anfassen. Und mit den Fingerspitzen über die spröden Falten ihrer nun fast gläsernen Haut fahren.
Ein Gespenst, schrie das Kind, mit Gespensteraugen! Schau doch, schau doch mal.
Tobias senkte den Blick. Er kannte diese Szene in ihren täglichen Varianten. Sie gehörte zum Rochen wie seine weiße Bauchmaske, wie seine geöffneten Seitenflossensegel.
Vater und Tochter standen an der Scheibe.
Willst du etwas trinken, fragte der Vater, als müsse er das Kind ablenken.Das Mädchen nickte.Der Vater nahm seinen Rucksack von der Schulter und dirigierte die Tochter zu der Reihe von Plastiksesseln, die in einem geringen Abstand vor dem Aquarium standen. Bald saßen beide nebeneinander und sahen auf das kleine Meer, das hier im Flight Connection Centre die fensterlosen Fluchten der Einkaufsareale abteilte vom Oval einer Ruhezone, deren Glasfront einen weiten Panoramablick auf die Flugzeuge bot.
(Unter anderem ist es ein Raumteiler, dachte Tobias, unter anderem.) Es war ein buntbewegter Glaskörper, ein Segment Lagune, wie aus einem Ozean herausgeschnitten. Eine professionell arrangierte, bemessene Portion Korallenriff.
Das Mädchen sog selbstvergessen an einem gebogenen Trinkhalm und schaukelte mit den Beinen. Tobias sah seine mageren Waden und darüber die