: Hanns-Josef Ortheil, Klaus Siblewski
: Wie Romane entstehen
: Luchterhand Literaturverlag
: 9783641016616
: 1
: CHF 8.70
:
: Erzählende Literatur
: German
: 288
: DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB/PDF
Ein Standardwerk für Autoren, Literaturliebhaber und jeden passionierten Leser
Roman-Poetiken von Schriftstellern gibt es viele, noch nie aber wurde bisher einmal en detail beschrieben, wie Romane in den Roman-Werkstätten der Schriftsteller entstehen. Die beiden Autoren des Bandes, ein Romancier vieler bedeutender und hoch angesehener Romane und sein langjähriger Lektor, analysieren anhand zahlreicher Beispiele solche Entstehungsprozesse, indem sie die einzelnen Arbeitsphasen der 'langen Arbeit am Roman' präzise unterscheiden und immer wieder genau nachfragen, was in diesen Arbeitsphasen geschieht und wie sie sich aufeinander beziehen. Von den ersten Notizen und poetischen Eingebungen bis hin zum fertigen Manuskript erläutern sie Schritt für Schritt, welche Arbeiten (an Figuren, Schauplätzen und der Entwicklung von Szenen, Dramaturgien und Handlung) Autoren bewältigen müssen, damit aus zunächst noch sehr vage sich abzeichneneden Roman-Phantasien am Ende auch wirklich ein Roman (und vielleicht nicht nur einer, sondern nach diesem einen noch ein weiterer und noch einer ...) entstehen.

Hanns-Josef Ortheil wurde 1951 in Köln geboren. Er ist Schriftsteller, Pianist und Professor für Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus an der Universität Hildesheim. Seit vielen Jahren gehört er zu den beliebtesten und meistgelesenen deutschen Autoren der Gegenwart. Sein Werk wurde mit vielen Preisen ausgezeichnet, darunter dem Thomas-Mann-Preis, dem Nicolas-Born-Preis, dem Stefan-Andres-Preis und dem Hannelore-Greve-Literaturprei . Seine Romane wurden in über zwanzig Sprachen übersetzt.
ERSTE VORLESUNG
Notieren und Skizzieren
Meine Damen und Herren!
 
Vor genau achtzig Jahren hielt der britische Roman-Autor Edward Morgan Forster am Trinity College in Cambridge seine bald berühmt gewordenen VorlesungenAspects of the Novel.1 Darin erläuterte er anhand von vielen Beispielen aus der englischen Romanliteratur seine Sicht auf die Gattung des Romans, dessen Besonderheiten er einem interessierten, aber nicht übermäßig vorinformierten Leser-Publikum näher bringen wollte.
Anders als viele andere Autoren vor ihm wählte Forster für seine Poetik-Vorlesungen eine doppelte Perspektive: Er sprach nicht direkt und ausschließlich von seiner eigenen »Poetik des Romans«, sondern er versuchte, seinen Zuhörerinnen und Zuhörern eine Vorstellung davon zu geben, mit welch typischen Erzähl-Problemen Romanautoren zu tun haben, wenn sie an einem Roman arbeiten. DieGeschichte, dieFiguren, dieFabel … – all das waren solche Erzähl-Probleme, deren Gestaltung und Ausarbeitung durch die unterschiedlichsten Autorinnen und Autoren Forster anhand von kurzen Text-Auszügen aus ihren Romanen zu verdeutlichen suchte.
Zum einen sprach Forster dabei als ein Schriftsteller, der die besonderen Probleme der »Romanarbeit« aus eigener Anschauung kannte und sie daher gleichsam von innen her nachvollziehen konnte, zum anderen aber auch als ein Beobachter und Essayist, der bestimmte Passagen aus den Werken seiner Kolleginnen und Kollegen auf ihre besonderen Eigentümlichkeiten hin prüfte und miteinander verglich.
 
Dabei ging es ihm nicht um die Unterscheidung bestimmter Romanformen, sondern um den »Roman an sich« und damit um Gestaltungsprobleme, die in allen Romanen eine Rolle spielen. Was der »Roman an sich« sei, fixierte er in seinen Vorlesungen gleich zu Beginn weniger in poetologischer Manier als in einer möglichst pragmatischen und einfachen Beschreibung dessen, womit wir es beim Roman zu tun haben. Wir haben es beim Roman, sagte Forster, mit einer »Prosaerzählung von einer gewissen Länge« zu tun, diese Länge fixieren wir mit der Zahl von etwa 50 000 Worten, so daß wir sagen können: »Jede freie Prosadichtung von über 50 000 Worten ist im Sinne dieser Vorlesungen ein Roman...«2
 
Der Roman als »lange Prosaerzählung« – mit Hilfe dieser ebenso einfachen wie verblüffenden Definition hielt sich Forster genauere Unterscheidungen dessen, was alles »ein Roman« sein könne, vom Leibe. Stattdessen konnte er sich nun jenen Grundkomponenten zuwenden, auf deren Erläuterung es ihm vor allem ankam, ja er konnte zeigen, was Romanautorinnen und Romanautoren nun alles tun und in Bewegung setzen müssen, um eine Erzählung »von einer gewissen Länge« zu schreiben: Sie müssen eine Geschichte entwerfen und aus Elementen einer Geschichte eine Fabel knüpfen, sie müssen Figuren erfinden und ihre Entwicklung über einen beträchtlichen Zeitraum verfolgen usw.
 
Anders als im Falle der meisten anderen literarischen Gattungen können Romanautorinnen und Romanautoren sich bei dieser Arbeit aber nicht auf einen in vielen Jahrhunderten entstandenen und damit durch eine lange Tradition legitimierten Kanon von Regeln und Strukturen stützen. Der »Roman«, sagt Forster vielmehr mit Recht, »ist eine gewaltige amorphe Masse – kein Gipfel, den man ersteigen könnte, kein Parnass oder Helikon, nicht einmal ein Berg Nebo, von dem aus man ins Gelobte Land schauen könnte. Der Roman ist recht eigentlich eine der feuchteren Gegenden der Literatur, durchzogen von Hunderten von Wasserläufen und streckenweise zu sumpfigen Niederungen ausgeartet«,3 mit anderen Worten: Der »Roman« ist ein unübersichtliches, sich häufig chaotisch darstellendes Gelände, das alle Planungsabsich
VORBEMERKUNG6
Wie Romane entstehen ( 1)10
Notieren und Skizzieren12
Figuren, Räume, Texte45
Spuren suchen78
Eine Entstehungsgeschichte112
Wie Romane entstehen ( 2)150
Poetische Vision152
Recherchieren, Konzipieren ( Schreiben 1)187
Schreiben, Gliedern, Entwerfen ( Schreiben 2)223
Redigieren252
Vorbemerkung Hanns- Josef Ortheil – Wie Romane entstehen286
InHALT286